der blaue reiter, Ausgabe 54
ISBN: 978-3-933722-91-1
Preis: 17,90 € (D), 18,40 € (A)



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der blaue reiter Ausgabe 54

 



Verantwortung


Seit der Mensch der Welt als prinzipiell freier gegenübertritt, die Ordnung der Dinge als nicht mehr von jenseitigen Mächten bestimmt gilt, hat auch der Begriff der Verantwortung Konjunktur. Heute herrscht geradezu eine Verantwortungseuphorie: Politiker sollen ihre Amtsgeschäfte verantwortungsvoll führen, Manager für ihr Tun wie für ihr Unterlassen Verantwortung übernehmen, Eltern ihre Kinder verantwortungsbewusst erziehen, Wissenschaftler verantwortungsbewusst mit ihren Forschungsergebnissen umgehen und beständig wird an die Verantwortung aller für das Klima appelliert. Doch was genau meinen wir, wenn wir beständig Verantwortung einfordern?

Aus dem Inhalt:
 

thema


Wovor?, Wofür?, Wer? und Warum?
Die zwei Zeitrichtungen der Verantwortung

Wer trägt warum und wofür Verantwortung und vor allem: Vor wem oder vor was sind wir eigentlich verantwortlich? Kann man auch für Handlungen verantwortlich gemacht werden, die aufgrund von Nichtwissen ausgeführt wurden? Ist der „innere Gerichtshof“, das heißt die Maximen und Schlussfolgerungen der Vernunft, die letzte Instanz, vor der wir Rechenschaft ablegen müssen? Oder sind es die Institutionen der Gemeinschaften, in denen wir leben, oder gar jenseitige Mächte?
Autor: Dieter Birnbacher

Die Krise der Verantwortung
Sollen wir immer „Arschlöcher“ sein?

Wenn man über „Verantwortung“ spricht, fallen einem Philosophen wie Immanuel Kant, Jean-Paul Sartre oder Emmanuel Levinas ein, aber kaum Friedrich Nietzsche und Max Stirner. Beide werden gemeinhin als Befürworter der Rücksichtslosigkeit beschrieben, einer Haltung des knallharten Egoismus, sozusagen der denkerische Gipfelpunkt der Verantwortungslosigkeit. Was bei Stirner zutrifft, ist bei Nietzsche jedoch nicht so einfach zu behaupten.
Autor: Paul Stephan

Kein Mensch muss müssen
Über das Spannungsverhältnis von Zwängen und Verantwortung

Für einen fundamentalen und in jedem Wortsinne existenziellen Umstand sind einzelne Menschen ganz gewiss nicht verantwortlich zu machen: dass sie gezeugt und geboren wurden. Ungeborene Menschen werden nicht gefragt, sie können tiefsinnig-trivialer Weise nicht einmal gefragt werden, ob sie das Licht der Welt erblicken wollen.
Autor: Jochen Hörisch

Verantwortung zur Welt bringen
Mit Hannah Arendt denken und handeln

Philosophie muss in den Raum zwischen den Menschen eindringen. Nur wer das mit seinem Denken schafft und Philosophie nicht irreführend als Suche nach abstrakten Prinzipien inszeniert, wird den Begriff der Verantwortung angemessen entfalten können. Denn Verantwortung zeigt sich nur zwischen den Menschen und im Hinblick auf jemanden oder etwas.
Autorin: Christina Schües

Gutes oder böses Wissen gibt es nicht!
Die Verantwortung der Wissenschaft

Religiöses Wissen stützt sich auf überirdische Autorität. Wissenschaftliches Wissen hingegen ist neutral; böses oder gutes Wissen gibt es in der Wissenschaft nicht. Motor der Wissenschaft ist jedoch nicht reiner Erkenntniswille, sondern der Nutzungs- und Anwendungsaspekt. Bei der Frage nach der Verantwortung hat entsprechend nicht die Wissenschaft das letzte Wort, sondern die Gesellschaft.
Autor: Otto-Peter Obermeier

Handeln ohne Verantwortung
Die anti-kopernikanische Wende der Künstlichen Intelligenz

Der Begriff der Verantwortung ist im Kant-Jubiläumsjahr in aller Munde. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff der Künstlichen Intelligenz. Vordergründig hat Immanuel Kant mit künstlicher Intelligenz wenig zu tun. Dennoch gibt es einen tieferen Zusammenhang. Beide stehen für die einschneidende Veränderung von Konzepten, welche die Grundlagen unseres Welt- und Selbstverständnisses betreffen. Der Begriff der Verantwortung ist in diesem Zusammenhang ein Schlüsselkonzept.
Autorin: Catrin Misselhorn

Schuldig ist man immer!
Die Frage der Verantwortung in Theodor Fontanes Roman Effi Briest

Verantwortung ist immer konkret. Ohne Handeln gibt es keine Verantwortung. Verantwortung zu übernehmen erfordert eine Entscheidung, und entscheiden tut weh. Denn wer Verantwortung übernimmt, macht sich immer schuldig, sei es für positive oder negative Folgen.
Autorin: Jutta Heinz

Die Verantwortung für die Freiheit
Über eine hochgradig gefährdete Beziehung

Wer eine Verantwortungs- durch eine Vorwurfskultur ersetzt, schadet der liberalen Gesellschaft, denn Verantwortung ist keine Einbahnstraße, sie ist dialogischer und offener Natur.
Autor: Martin Booms

„Verantwortung beginnt Zuhause“
Warum und wie wir unser Denken über Armut verändern müssen

In absoluten Zahlen betrachtet gab es noch nie so viel materiellen Wohlstand wie heute. Dennoch ist die Anzahl derjenigen, denen es am Nötigsten fehlt, noch immer inakzeptabel hoch. Wer trägt welche Verantwortung dafür, das Skandalon der Armut zu beenden?
Autor: Valentin Beck

Der Andere oder der Fremde?
Eine Frage der Verantwortung

Wesentlicher als die philosophische Frage nach dem Sein – und nach unserem Dasein in ihm – ist für Emmanuel Lévinas die ethische Frage nach dem Anderen, zu dem wir hier und jetzt in Beziehung stehen. Nicht so sehr die Erkenntnis des Ganzen als vielmehr unsere individuelle Verantwortung voreinander gilt ihm als Grundprinzip menschlichen Lebens sowie als Schlüssel unseres Selbstbegriffs.
Autor: René Weiland

Verantwortung aus Selbstbestimmung
Der Fall Sokrates

Verantwortung ist ein Element der individuellen Selbstbestimmung und auch der gemeinsamen Sorge für ein gelingendes Leben. Diesen Zusammenhang setzt Platon in seiner Apologie des Sokrates in Szene.
Autor: Jörg H. Hardy

Schuld und Sühne
Über die Beziehung von moralischer Verantwortlichkeit und Willensfreiheit

Ist unser Wille frei? Und wenn nicht, wie können wir dann für unsere Taten verantwortlich gemacht werden? Einige Hirnforscher vertreten die Meinung, dass kriminelles Verhalten neurobiologische Ursachen habe und ein Straftäter daher nicht aus freiem Willen handele. Die Frage nach der Willensfreiheit ist daher kein rein akademischer Disput unter Philosophen, sondern hat praktische Konsequenzen für unseren Umgang mit Straftätern.
Autor: Thomas Zoglauer


umfrage
Was bedeutet für Sie Verantwortung?
Tragen wir Deutsche heute Verantwortung für den Holocaust?

Mit dem Mikrofon unterwegs in den Straßen von Hannover war Amira Potesta.


kolumne
Die Rappenalpbachwende und andere Verantwortlichkeiten
Wenn man den Bogen der Verantwortlichkeit überspannt, landet man im rhetorischen Nirwana, wenn nicht gar an jenem Ort, wohin der Weg bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Max Webers Mahnung vor einem realitätsblinden Welteinrenkungsenthusiasmus im Dienst ethischer Idealvorstellungen ist von überzeitlicher Geltung.
Autor: Friedrich Dieckmann


lexikon
Befehlsnotstand
Autorin:
Lea Mara Eßer

Erbsünde
Autor:
Bernd Irlenborn

Rache
Autor:
Fabian Bernhardt

Verzeihen
Autor:
Nicolas Koj


unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur

Haben Sie Probleme philosophischer Art?
Dr. B. Reiter sorgt für Aufklärung!


Verantweihrauchsvoll
„Verantwortung“ ist ein Bluff! Menschen, die in verantwortlicher Position tätig sind („High-Performer“) und dann infolge einer offensichtlichen „Low Performance“ die Verantwortung übernehmen, tun das in der Regel weder durch Regresszahlungen noch durch Harakiri – sie gehen einfach. Gehen in den Ruhestand, den zwar nicht wohl verdienten, den aber wohl bezahlten. Es spielt dann auch keine Rolle mehr, ob sie Verantwortung oder bloß sich übernommen haben.
Autor: Stefan Reusch


porträt
Mehr als nur ein Philosoph der Verantwortung
Hans Jonas im Porträt

Als die Klimaaktivistin Luisa Neubauer Anfang 2023 gegen die Räumung des Ortes Lützerath im Rheinischen Braunkohlegebiet protestierte, hielt sie demonstrativ ein kleines Taschenbuch in die Kameras: Das Prinzip Verantwortung des Philosophen Hans Jonas. Der Untertitel jenes Werks, mit dem Jonas Ende der 1970er-Jahre weltberühmt wurde, lautet: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation.
Autor: Jürgen Nielsen-Sikora