der blaue reiter Ausgabe 53 |
Porträt
Das Erhabene im Krieg
Ernst Jünger im Porträt
Ernst Jüngers Begeisterung für den Krieg war nicht nur Produkt seiner Zeit, sondern auch Folge seiner Lektüren. Seine Vorbilder waren häufig Dichter-Krieger, die von ihren eigenen Erlebnissen und Taten geschrieben haben. Aus seinen Büchern, mit denen er das Erlebte zu verarbeiten suchte, wird allerdings schnell deutlich, dass er mit falschen Vorstellungen in den Krieg gezogen war.
Das Erhabene weckt, so Immanuel Kant in der Kritik der Urteilskraft, die Erkenntnis menschlicher Ohnmacht, wenn beispielsweise im grenzenlosen Meer die Übermacht der Natur anschaulich werde. Dieser könne dennoch etwas entgegengesetzt werden, nämlich die „Überlegenheit der Vernunftbestimmung unserer Erkenntnisvermögen über das größte Vermögen der Sinnlichkeit“. Das Erhabene lässt es also zu, dass der Mensch sich über die Vernunft jedes noch so große Naturschauspiel unterwirft und sich so seiner bemächtigt. Denn „obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte“, kann er diese trotz jeder „Bewegung des Gemüts“ verstehend und deutend bezwingen. Damit geht Kant über Edmund Burkes Definition hinaus, der das Erhabene vor allem als „groß und schrecklich“, „düster und traurig“ bestimmt hatte.
Als eine solche bedrohlich-überwältigende Naturgewalt, die Züge des Erhabenen trägt, erscheint der Krieg in den frühen Schriften Ernst Jüngers (1895–1998), der sich als Neunzehnjähriger freiwillig gemeldet und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 aktiv am Kriegsgeschehen teilgenommen hat und auch mehrmals verwundet wurde. Jünger ist ein Kind seiner Zeit, das der gesellschaftlichen Prägung durch den Militarismus des Kaiserreichs nicht entgangen ist, seine Begeisterung für den Krieg ist jedoch auch Produkt einer Selbstsozialisation durch die Literatur. Seine Vorbilder sind häufig Dichter-Krieger, die von ihren eigenen Erlebnissen und Taten geschrieben haben. Der literarisch vermittelte Krieg, ob bei Homer (Ilias), in der altisländischen Egils Saga, bei Grimmelshausen (Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch) oder Stendhal (Rot und Schwarz), ist Jünger mysterium tremendum (lateinisch für „Furcht und Zittern auslösendes Geheimnis“) und Faszinosum zugleich, er lässt erschrecken und zittern, fasziniert aber auch und zieht den jugendlichen Leser geradezu magisch an und schließlich, bald nach Beginn der Kampfhandlungen im Spätsommer 1914, in sich hinein. Schon 1913 war er von zu Hause zur Fremdenlegion geflohen, wo er nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters beim Auswärtigen Amt aufgrund seines Alters wieder entlassen wurde.
Jünger hat im Feld Tagebuch geführt, auf dessen Grundlage er nach Kriegsende eine Reihe von Büchern erarbeitet. Sie stellen Bewältigungsversuche dar, das Erhabene nicht bloß Erlebnis gewesen sein zu lassen, sondern (literarisch) einholen zu wollen, um zu verstehen und sich seiner zu bemeistern. In diesen Versuchen wird deutlich, dass Jünger ein literarisch Verbildeter ist, der mit falschen Vorstellungen als Freiwilliger in den Krieg gezogen ist, deren Enttäuschung ebenso schwer zu bewältigen ist wie die Monotonie des Stellungskriegs und des Sterbens um ihn herum.
Am Anfang von In Stahlgewittern, Jüngers erstem Buch, das auf Grundlage seiner Notizen entsteht und 1920 im Selbstverlag erscheint, schreibt er: „Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in der kurzen Ausbildungszeit zusammengeschmolzen zu einem großen begeisterten Körper, Träger des deutschen Idealismus der nachsiebziger Jahre. Aufgewachsen im Geiste einer materialistischen Zeit, wob in uns allen die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach dem großen Erleben … Der Krieg mußte es ja bringen, das Große, Starke, Feierliche … Ach, nur nicht zu Hause bleiben, nur mitmachen dürfen!“ Nach seiner freiwilligen Meldung kommt Jünger im Dezember 1914 an die Front. Dort merkt er schnell, wie anders sich dieser Krieg neuen Typs gegenüber dem verhält, was er aus der Literatur kannte. Die erwartete „wallensteinsche Romantik“ wird bald enttäuscht, als Jünger die Unpersönlichkeit des modernen Krieges erfährt, in dem der Einzelne wenig gilt und zumeist unsichtbar bleibt. Das „Gefühl einer großen Ernüchterung“ aber führt nicht zu einer grundsätzlichen Enttäuschung, sondern bestärkt Jünger (nicht zuletzt in den literarischen Verarbeitungen) darin, die „wilden“ und freieren Momente des Krieges hochzuschätzen, in denen bald der zum Stoßtruppführer beförderte Jünger handeln und die direkte Auseinandersetzung im Grabenkampf suchen kann.
Jünger: Ein literarisch Verbildeter, der mit
falschen Vorstellungen in den Krieg zog.
Nicht zuletzt in der Enge der Schützengräben erfährt Jünger, dass der Krieg durch seine Komplexität eigentlich jede allgemeingültige Darstellbarkeit verunmöglicht. Nur der radikal subjektive, selektive Ausschnitt ist möglich, denn eine olympische Übersicht auf das Gesamtgeschehen gibt es nirgends – und doch fragt Jünger mit Marx, ob „eine Ilias mit Pulver und Blei möglich“ wäre? Auch der in der Novelle Sturm in Figurenrede ausgesprochene Vorschlag über den „Versuch, ein Dekameron des Unterganges zu schreiben“ verrät die nicht unbescheidene Absicht, literarisch durchaus Großes leisten zu wollen. Denn was Jünger seinem Anspruch nach versucht, ist, den Krieg nach dem Vorbild des Epos (denn nur dieses stelle, so Aristoteles in seiner Poetik, das „Ganze“ dar) zu behandeln. Aber weniger das Schießpulver ist das Problem der literarischen Umsetzung als die Vorstellung, das „Ganze“ eines solchen Hyperobjekts wie des Krieges ließe sich von einem einzelnen in eine einzige Form bringen. Dem „Ganzen“ entspräche eine multiperspektivische Darstellung, die alle beteiligten Parteien und Akteure, ihre Interessen, Hoffnungen und Ängste in ihrer gesamten historischen Dynamik abbildet – den Schützengraben wie die Etappe, den Gefechtsteilnehmer wie den Reservisten, die Heeresleitung wie den unbekannten Soldaten im unbezeichneten Massengrab. Was das Schießpulver allerdings für Probleme bereitet, wird bereits in den Stahlgewittern deutlich: Die Feuerkraft ballistischer Geschosse hat die Artillerie zur zentralen Gattung gemacht, ein großer Teil der Kampfhandlungen vollzieht sich auf Distanz und damit über die Köpfe der meisten Soldaten hinweg: Eine permanente Bedrohung durch eine unsichtbare Gefahr und für diejenigen, die es trifft, ein anonymer Tod von oben – stets verbunden mit der Frage, ob darin bloßer Zufall oder doch ein Fatum wirkt?
Diesen schockhaften Erfahrungen zum Trotz gelingt es dem Erzähler Jünger, sich mit den Widrigkeiten zu arrangieren und den Krieg fortan als permanente Herausforderung zur Selbstbehauptung anzunehmen. Im Tagebuch stellte er 1917 noch die Frage, „wann dieser Scheißkrieg ein Ende“ habe, in den Stahlgewittern ist dieser Pessimismus verschwunden, weil Jünger den Versuch unternimmt, das Erhabene des Krieges zu begreifen und zu bewältigen. Als Ideal, das diese Bewältigung leisten könne, erkennt er eine „große und männliche Gleichgültigkeit“, die „jeden Schrecken bis zur Verzweiflung durchgekostet“ hat und dem Krieg unaufgeregt gegenübersteht. Um dieser gleichgültigen Haltung nahezukommen, sind Ernst und Härte die positiv besetzten Ziele einer Entwicklung, die der werdende Krieger durchlaufen muss. Jünger, als Protagonist seiner eigenen Heldenerzählung, will diesen Weg gehen und möglichst genussvoll zum „Stahlmann“ werden, der sich, wenn er bestehen will, den „ganz neuen Formen des Krieges anpassen“ muss. Diese Anpassung ist die Abhärtung und Panzerung gegen die Schrecken, aber auch die Alltäglichkeiten des Krieges. Wenn Klaus Theweleit in seinen Männerphantasien dafür das Bild vom „Körperpanzer“ gewählt hat, den der soldatische Mann ausbildet, um einerseits Herr seiner Triebe zu bleiben und andererseits nach außen trotzdem den Anschein von Haltung zu wahren, dann ist dies für den Erzähler der Stahlgewitter durchaus zutreffend: Mit der psychischen geht die physische Abhärtung einher; Körper und Psyche durchlaufen eine Verwandlung, um einen bestimmten Idealzustand zu erreichen. Es gehört zur Methode des Textes, den Grenzgänger Jünger in exemplarischen Situationen „reifen“ zu lassen. Nicht von ungefähr hat Jünger tempestatibus maturesco (lateinisch für „in Stürmen reife ich“) zu seinem Wahlspruch erhoben. Im Zuge dieser „Reifung“ stilisiert sich Jünger zum Repräsentanten der „überzeitlichen“, das heißt mythischen Gestalt des „Kriegers“, der ebenso wie der Krieg dem Prinzip der Wiederkehr gehorcht: „Daß dort, wo die eigentliche kriegerische Leidenschaft zum Durchbruch kommt, also vor allem im nackten, unmittelbaren Kampf auf Leben und Tod, es eine nebensächliche Rolle spielt, in welchem Jahrhundert, für welche Ideen und mit welchen Waffen gefochten wird.“ Der Krieger ist der Repräsentant dieses fragwürdigen Kämpferideals, der tut, was das Schicksal befiehlt und nicht nach Gründen oder gar nach Alternativen fragt. Über das Rollenmodell des Kriegers schreibt sich Jünger zudem in eine Ahnenreihe mit antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen (zumeist Dichter-)Kriegern ein, die in fernen Jahrhunderten doch ganz Ähnliches wie er erlebt haben. …
Autor: Niels Penke