der blaue reiter Ausgabe 51 |
Inhalt
Leibesübungen
Philosophie des Sports
Wer gesellschaftlich reüssieren will, muss im Berufsalltag ebenso eine gute Figur machen wie im Fitnessstudio. Nicht nur der Geist, auch der Körper muss funktionieren und entsprechend in Form gebracht werden. Doch nicht jeder will sich ausgefuchsten Trainingsplänen unterwerfen und nicht jeder sieht sein Heil im Versuch, den anderen zu übertreffen. Denn in einer Leistungsgesellschaft verbindet Freizeitsport das Element der Nichtarbeit mit dem Prinzip der Leistung (Helmuth Plessner), ist nurmehr eine Verdopplung der Arbeitswelt im Schein des Spiels (Jürgen Habermas). Entsprechend formierte sich in den letzten Jahren unter dem Schlagwort Body Positivity eine Bewegung, deren Vertreter sich der Verächtlichmachung des nicht Normgerechten ebenso entziehen wie dem Druck zur Selbstformung gemäß unrealistischer Schönheitsideale. Doch dem Magerwahn ähnlich ist auch die Verherrlichung krankhaften Übergewichts fraglich. Letztlich repräsentieren Sport und dessen Widerpart, die Body-Positivity-Bewegung, die Widersprüche unserer Gesellschaft im Medium des Körpers.
Aus dem Inhalt:
thema
Die Erfindung des Sports
Von den kultischen Spielen im Olympia der Antike zum modernen Sport
Die Erscheinungsformen der Leibesübungen lassen sich nicht von den jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen trennen. Das Üben für kultische Bewegungsspiele folgt anderen Regeln als die körperliche Ertüchtigung für das Kriegshandwerk oder der friedliche Wettstreit zur Unterhaltung der Massen.
Autor: Franz Bockrath
Was ist Sport?
Sport ist kein idealer Begriff, sondern einer der Erfahrungswelt. Er gehört zu den Wörtern, deren „Bedeutung durch den Redegebrauch“ erläutert wird – und dieser Redegebrauch ist nicht festgelegt, sondern wandelbar.
Autor: Stefan Diebitz
Körpererkenntnis im Sport
Sportliche Wettkämpfe bieten Sportlern im Sieg wie in der Niederlage extreme Körpererfahrungen. Diese verweisen nicht nur auf eine wie auch immer geartete Innerlichkeit. Vielmehr benötigen Sportler für die erfolgreiche Auseinandersetzung mit sich, den Gegnern und dem Sportgerät ein nicht objektivierbares subjektives Wissen, das inneres Erleben mit äußeren Eindrücken verbindet und in Bewegung umsetzen hilft.
Autor: Gunter Gebauer
Leistung ohne Grenzen?
Leistungserwartungen im Alltag und im Sport
Es geht nur um den Erfolg: Das Leistungsprinzip bildet den „harten Kern“ der Sportkultur; Höchstleistungen zu erwarten ist mit dem Wettkampfsport untrennbar verbunden. Doch übersteigerte Leistungserwartungen überfordern die Athleten. Sie verleiten zu Regelübertretungen und auch zu Doping.
Autor: Frank Martin Brunn
Treiben Tiere Sport?
Bewegung und Sport in der Philosophie Helmuth Plessners
Im Sport zeigt sich ein zentrales Momentum des Menschseins: die Fähigkeit, selbst gestellte Bewegungsaufgaben zu genießen. Wie anders ließe es sich erklären, dass sich Sportler bei einem 400-Meter-Sprint bis zur totalen Erschöpfung verausgaben, nur um möglichst schnell da wieder anzukommen, wo sie losgelaufen sind?
Autor: Volker Schürmann
Sculpo, ergo sum
Körperliche Selbstoptimierung im Spannungsfeld von Freiheit und Zwang
Citius, altius, fortius – schneller, höher, stärker – benennt als offizielles Motto der Olympischen Spiele die Erwartungshaltung an deren Teilnehmer. Die Leistungen sollen immer weiter gesteigert, mithin die Körper optimiert werden. Heute scheint dieses Prinzip in der Breite der Gesellschaft in Form von Selbstoptimierung angekommen zu sein. Doch lässt sich diese tatsächlich auf „Versportung“ oder kapitalistischen Leistungskult reduzieren? Hat sie nicht auch überraschende und subversive Seiten, etwa im Bodybuilding?
Autor: Jörg Scheller
„Unsere“ Mannschaft
Über die Möglichkeit des Scheiterns
Vom Trainer des FC Liverpool, Bill Shankley, ist das Bonmot überliefert, dass Fußball keinesfalls eine Angelegenheit von Leben und Tod ist, sondern sehr viel ernster. Nicht von ungefähr dient Fußball existenzialistischen Philosophen als Lehrbeispiel für kollektive Praxis.
Autor: Thomas Bedorf
Schwalben und andere Fouls
Über Gerechtigkeit im Sport
Der Sport gilt wie kein anderer Bereich als eine „Schule der Gerechtigkeit“ und steht in besonderer Weise für Menschenrechte und Antidiskriminierung. Gleichwohl steht im Zentrum sportlicher Moral und Ethik nicht die Gerechtigkeit, sondern der Begriff der Fairness.
Autorin: Claudia Pawlenka
Kulturen des Wettbewerbs im Sport
Duell oder Rekord?
Sport ist „Lebensübungslehre“ und Muster einer Kultur der Anstrengung und Leistung. Doch das System der beständigen Leistungsüberbietung hat seine Grenzen erreicht. Neue Rekorde lassen sich heute meist nur noch durch Manipulationen beziehungsweise durch Doping erreichen. Entsprechend ist es erforderlich, sich nicht mehr an Rekorden zu orientieren, sondern das Modell des Duells in den Blick zu nehmen.
Autor: Helmut Digel
Die experimentellen Körper des Sports
Sportler frönen einem Ethos der Überschreitung: Sie nutzen den Sport als experimentellen Möglichkeitsraum, in dem sie ihre Körper mittels immer neuer Trainingsmethoden, technischer Hilfsmittel und Medikamente ausloten. Durch ihre Versuche, die Vorstellungen des „normalen“ Körpers durch Steigerung von dessen natürlichen Kräften zu überwinden, setzen sie diesen aufs Spiel.
Autor: Thomas Alkemeyer
umfrage
Was ist Sport?
Treiben Sie Sport?
Mit dem Mikrofon unterwegs unter Redakteuren des Journals für Philosophie „der blaue reiter“ war Siegfried Reusch.
kolumne
War Goethe ein Sportler?
Von Leibesübungen hielt Goethe viel. Besonders aber liebte er das Schlittschuhlaufen, das er, nach Weimar berufen, alsbald in der Hofgesellschaft einführte: dass es den Leib übe, den Körper stähle und den Geist erfrische.
Autor: Friedrich Dieckmann
interview
mit Reiner Calmund
„Ich bin das lebende Beispiel dafür, dass Genuss und Sport keine Gegensätze sind“
– „Auf dem Platz sind alle gleich.“
– „Erfolg hat nur, wer Kompetenz und Leidenschaft vereint.“
– „Jeder sollte für sich selbst entscheiden, was ihm guttut.“
– Die dramatischen Momente des sportlichen Wettkampfs zählen mehr als der Ort der Austragung.
essay
Im Fitnessstudio
Die von der körperlichen Arbeit befreite Arbeit erlaubt es, den Körper nicht nur als Mittel, sondern auch als Zweck an sich in den Blick zu bekommen. Aber Körper ist nicht gleich Körper, und das, was mit dem Körper geschehen, was aus dem Körper im Fitnessstudio werden soll, gehorcht ganz unterschiedlichen Vorstellungen und Zielen.
Autor: Konrad Paul Liessmann
lexikon
E-Sport
Autor: Thomas Zingelmann
Muße
Autorin: Monika Urbich
Spielerinnenmann
Autorin: Kathrin Sprenger
Spielverderber
Autorin: Jutta Heinz
unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur
Haben Sie Probleme philosophischer Art?
Das Dr. B. Reiter Team sorgt für Aufklärung!
Kniebeugen, Goethe und Ritter Sport
Das Jahr der Französischen Revolution, 1789, war seinerzeit ein großes Jahr, heute sind die Zeitzeugen verstummt. Im gleichen Jahr 1789 wird in der deutschen Stadt Dessau Turnen Pflichtfach. Das ist es immer noch. Furchtbar. Aber so ist Geschichte: Furchtbar. Seit damals in Dessau gibt es Kniebeugen der körperlichen Ertüchtigung wegen, samt der Behauptung: Die helfen gegen Kälte.
Autor: Stefan Reusch
porträt
Naturerfahrung und Engagement
Henry David Thoreau im Porträt
Wandern ist für Henry David Thoreau das physische Korrelat einer geistigen Beweglichkeit – physische Bewegung, Denken und Schreiben gehen dabei eine Verbindung ein. Bewusst zu leben bedeutete für ihn: Individualismus, Transzendentalismus und Protest.
Autor: Dieter Schulz
ethik aktuell
Als ob die Erde längst aufgehört hätte, mit uns zu sprechen
Für eine neue Ethik und Ästhetik der Natur
Die Corona-Pandemie hat eine ganze Welle von Neu- und Wiederentdeckungen der Natur ausgelöst. Die Rede ist dabei nicht nur von Sport und Erholung in frischer Luft, einem schonenderen Umgang mit dem Klima oder einer nachhaltigeren Nutzung endlicher natürlicher Ressourcen. Die Rede ist auch von Freude und Seligkeit in der Natur, vom Staunen über das, was es dort alles gibt, was einfach so da ist. Von der Geborgenheit und dem Trost, den wir in der Natur finden können.
Autorin: Angelika Krebs
Darf man geltende Gesetze aus moralischen Gründen brechen?
Politische Philosophie des zivilen Ungehorsams
Klimaaktivisten rechtfertigen ihre medienwirksamen Aktionen als zivilen Ungehorsam. Aber darf man in einem demokratischen Rechtsstaat geltende Gesetze aus moralischen Gründen brechen? Wird damit nicht die Grundfeste der Demokratie untergraben, derzufolge sich die Minderheit der Mehrheit unterordnen muss?
Autor: Armin Pfahl-Traughber