der blaue reiter, Ausgabe 45
ISBN: 978-3-933722-68-3
Preis: 16,90 € (D), 17,40 € (A)



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der blaue reiter Ausgabe 45

 



Die Kunst des Zweifelns


Der Zweifel ist ein ständiger Begleiter des Menschen: In der Liebe zweifeln wir an der Treue unserer Partner, im Straßenverkehr an den Fahrkünsten der anderen, beim Einkaufen an der Korrektheit der Rechnung, in der Klimadebatte an der Richtigkeit der Prognosen und der Ehrlichkeit der Politiker. Nicht wenige verlieren sich angesichts der vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten im Zwang zur Kontrolle oder fallen gar der Verzweiflung anheim. Entsprechend sehnt sich der Mensch nach nichts so sehr wie nach letzten Gewissheiten, die Sicherheit und Halt versprechen. Doch so wie zu viele und zu grundsätzliche Zweifel lähmen und in Verzweiflung umschlagen können, herrscht ohne Zweifel an vermeintlichen Gewissheiten Stillstand. Entsprechend braucht auch der Zweifel ein vernünftiges Maß.

Aus dem Inhalt:

thema


„Grosse Geister sind Skeptiker“
Friedrich Nietzsche als Lehrer des Zweifels

Keiner zweifelte so sehr an seinem eigenen Denken wie Friedrich Nietzsche. Misstrauen gegen alles und jeden, auch gegen sich selbst, gilt dem Meisterdenker der experimentellen Skepsis als einziger Erkenntnisweg, denn nur Skepsis befreie „von der Tyrannei der ‚ewigen‘ Begriffe“. Entsprechend fordert er eine urteilsfreudige „Skepsis der verwegenen Männlichkeit“ als einzige Form von Philosophie.
Autor: Andreas Urs Sommer

Skepsis: die geöffnete Büchse der Pandora?
Sicheres, unerschütterliches Wissen ist ein uralter Wunschtraum der Menschheit. Was aber tun, wenn dieses sichere Wissen angezweifelt und hinterfragt wird, wenn die Versprechungen der Religionen als bestenfalls schöne Märchen und Illusionen entlarvt werden und die Bürger den Politikern mit ihren riesigen Staatsbürokratien nicht mehr trauen?
Autor: Otto-Peter Obermeier

Zweifel am Zweifel
Die Philosophie hat den Zweifel nobilitiert: So wollte Sokrates mit seinen Zweifeln die sittliche Gewissheit seiner Gesprächspartner in Moralität transformieren. Seither gehört es in der Philosophie gewissermaßen zum guten Ton, Zweifel zu äußern. Denn wenn vertraute Gewissheiten infrage geraten, erfährt sich der Mensch in der Erschütterung als das undifferenzierte Amalgam von Ich.
Autor: Gernot Böhme

Leben wir in einer Computersimulation?
Zweifel an der Realität der Außenwelt

Die Frage nach der Realität der Wahrnehmungswelt ist nicht erst seit dem Zeitalter von Computersimulationen und virtuellen Welten virulent. Schon Platon beschäftigte sich mit dem Unterschied zwischen dem, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, und dem, was wirklich, was Realität ist. Aber wie können wir angesichts der technischen Möglichkeiten des Computerzeitalters Gewissheit über unser Sein erlangen?
Autor: Thomas Zoglauer

Der Wert des Vertrauens
Wenn der Zweifel nicht mehr weiterhilft

Vertrauen ist eine unsichtbare Macht. Es lebt von der Abwesenheit des Zweifels und folgt einer ganz eigenen Vernunft. Wer vertraut, verzichtet auf Kontrolle und Überwachung. Vertrauen bedeutet aber nicht Blindheit oder Gutgläubigkeit, denn Vertrauen ist nicht das Ende des Zweifelns.
Autor: Martin Hartmann

Die betrogen werden wollen
Über das Verlangen nach Unwahrheit und die Hochkonjunktur des Zynismus

Wo Täuschung erwünscht ist, läuft jeglicher Zweifel ins Leere. Was bleibt, ist der Zynismus aller: nicht als Symptom amoralischer Enthemmung, sondern als bewusste Lebensform. Eine Kritik der zynischen Vernunft tut not!
Autor: Peter Sloterdijk

Das Ende eines Skandals?
Radikale Skepsis und das Unbezweifelbare

Wieso sind wir uns so sicher, dass unsere Sinneseindrücke verlässlich sind? Wie können wir uns darüber Gewissheit verschaffen, dass außer unserem Denken überhaupt etwas existiert? Hat Ludwig Wittgenstein mit seiner These recht, dass es jenseits unseres Weltbilds keinen Maßstab für das gibt, was als Grund gelten kann und mithin das logisch nicht mehr Bezweifelbare zwangsläufig unbegründet ist?
Autorin: Genia Schönbaumsfeld

Die Störenfriede der Weisheit
Über die Entstehung der Philosophie aus dem Zweifel

Die Sophisten des 4. und 5. vorchristlichen Jahrhunderts stellten sämtliche geltenden Gewissheiten radikal infrage und suchten nach Argumenten für jede beliebige Wahrheit. Damit schufen die als Wanderlehrer tätigen Denker die Voraussetzungen für die Demokratie: Denn Demokratie setzt Werterelativismus als Weltanschauung voraus, und wer absolute Wahrheit für verschlossen hält, muss auch die fremde, gegenteilige Meinung zumindest für möglich halten.
Autor: Bernhard Taureck

Der lachende Gott
Die Liebe der Theologie zu Paradoxien

Man muss nicht alles glauben, was wahr ist, und kann vieles für wahr halten, was anderen als falsch erscheint. Gewissheiten des Glaubens sind nur für Gläubige gewiss, und nicht alles, was Wissenschaftler als sicheres Wissen verkaufen, ist über jeden Zweifel erhaben. Nur eines ist wirklich sicher: Zweifel sind angebracht, in Fragen des Glaubens wie des Wissens!
Autor: Jochen Hörisch

Die Tat beendet jeden Zweifel!
Carl Schmitt als Ahnherr der „Neuen Rechten“

Eine Armee aus lauter Befehlshabern braucht keinen Feind um besiegt zu werden, denn: Diskussionen verzögern Entscheidungen und machen handlungsunfähig, zu viele Zweifel verhindern jeglichen Fortschritt. „Wer etwas verändern will, muss handeln!“, wollen uns heute wieder viele weismachen. Aber stimmt das auch?
Autor: Reinhard Mehring

Das Geheimnis der menschlichen Existenz
Sören Kierkegaard über Zweifel und Verzweiflung

Zweifel am Bestehenden sind gleichermaßen Lebensantrieb wie Motor des Fortschritts. Doch wer dem Zweifel zu viel Raum lässt, wer alles bezweifelt, wird handlungsunfähig und läuft Gefahr, an seinen Zweifeln zu verzweifeln. Doch, so schreibt Sören Kierkegaard, „erst des Herzens unbeschreibliche Rührung, erst sie vergewissert dich … nur die Wahrheit, die erbaut, ist Wahrheit für dich.“
Autor: Markus Kleinert


umfrage
Woran zweifelst Du?
Sind Zweifel wichtig?

Mit dem Mikrofon unterwegs waren Martin Krieger im Rahmen seines Unterrichts in den Fächern Ethik, Philosophie, Religion sowie Politik und Wirtschaft in 7. und 8. Klassen des Gymnasiums Nord, Frankfurt-Westhausen und Samuel Brandt auf den Straßen von Hannover.


kolumne
Die Kunst des Zweifelns
Ist Zweifeln denn eine Kunst, ist es nicht eine Haltung? Die Haltung des Nicht-für-wahr-Haltens dessen, was als wahr in Geltung ist oder mit Machtgebot behauptet wird? Dass diese Haltung Kunst werden, Kunstgestalt annehmen kann, kommt vor, und natürlich: Alle künstlerische Entwicklung setzt die In-Frage-Stellung von Gewohnheiten und Übereinkünften voraus, die die Kunst bis zu dem schöpferischen Akt des Zweifels an den für selbstverständlich gehaltenen Voraussetzungen bestimmt haben.
Autor: Friedrich Dieckmann


interview
mit Harald Lesch
Zweifeln gehört zum Menschen

„Alle müssen über die Brücke des Zweifels. Die Frage ist: Was mache ich mit dem Zweifel?“
„Der ethische Aspekt der Wissenschaft ist für mich von enormer Wichtigkeit.“ „Wissenschaft kann nicht neutral sein!“
„Eine wichtige Aufgabe der Philosophen ist es, anhand der Erkenntnisse, die wir über die Welt gewonnen haben, Konzeption über den Zustand des Seins zu entwickeln und sich zu überlegen: Was bedeutet das für uns?“


essay
Was ist so schlimm am Kapitalismus?
Über Zweifel am System und die Macht der Utopie

Zu Beginn unseres Jahrtausends kommt die Menschheit zum ersten Mal in den Genuss eines Güterüberflusses: Die verfügbaren Güter übersteigen die Grundbedürfnisse um ein Vielfaches. Doch der Kapitalismus hat eine kannibalische Ordnung geschaffen: Überfluss für eine kleine Minderheit und mörderisches Elend für die große Mehrheit. Zehntausende sterben durch Hungerkrankheiten, unsere natürliche Umwelt wird zerstört… Doch Immanuel Kant schreibt: „Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird, zerstört die Menschlichkeit in mir.“
Autor: Jean Ziegler


lexikon
Fake News
Autoren: Romy Jaster, David Lanius

Münchhausen-Trilemma
Autor: Rüdiger Vaas

Staunen
Autor:
Christoph Poetsch

Verschwörungstheorie
Autor:
Karl Hepfer


unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur

Haben Sie Probleme philosophischer Art?
Das Dr. B. Reiter Team sorgt für Aufklärung!


Im Zweifel rufen Sie die Auskunft an
Lähmend ist der Zweifel, quälend. Zweifel beschleichen, befallen einen, und sobald sie sich regen, steigen sie auf, sodbrennerisch. Verzehrend. Mancher nagt an einem, zum Dank dafür, dass man ihn hegt. Doch wer sich gegen den Zweifel entscheidet, lebt gefährlicher.
Autor: Stefan Reusch


porträt
Das Geschenk des Zweifels
David Hume im Porträt

David Hume wollte die Lehre über den Menschen aus den spekulativen Höhen von Theoretikern und Geistlichen auf der sicheren Basis beobachtbarer Tatsachen neu errichten. Dabei gilt ihm das blinde Folgen von Neigungen und Gefühlen ohne Leitung des Verstands als ebenso falsch wie eine Fundierung der Moral nur auf die Vermögen der Vernunft.
Autor: Gerhard Streminger