Siegfried Reusch
Chefredakteur
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der blaue reiter Ausgabe 40

 



Philosophieren heißt lachen!


Philosophie und Lachen sind keine Gegensätze. Das Komische enthüllt nicht nur die vielfältigen Wirklichkeiten der Welt, sondern auch die Zerbrechlichkeit dessen, was uns als Realität erscheint. Vom Lachen zum ganz großen Ernst ist es nur ein kleiner Schritt, denn nichts kann so schlimm sein, dass man nicht noch einen Witz darüber machen könnte. Entsprechend ist das Nachdenken über Komik, Witz und Humor nicht fun, sondern eine ebenso ernste wie gewinnbringende Angelegenheit.
Schon in der griechischen Kultur der Antike erscheint das Lachen nicht nur als Ausdruck von ausgelassener Fröhlichkeit, Wohlbehagen oder Vergnügen: Es wurde als unerbittlich todbringende Waffe ebenso eingesetzt, wie es Konflikte zu befrieden und Gemeinschaft zu stiften vermochte. In den Überlieferungen ist die Rede von einem unauslöschlichen Gelächter der Götter, das deren Gemeinschaft versöhnte, wie auch vom Selbstmord eines Helden aus Angst vor dem spottenden Gelächter der Sieger.
In der Tat ist Lachen weitaus mehr als nur ein körperlicher Reflex, mit dem wir auf Komisches und Lächerliches zu reagieren pflegen, oder die bloße Abfuhr überschüssiger psychischer Energie, wie Sigmund Freud postuliert. Vielmehr ist es Helmuth Plessner zufolge in all seinen Ausprägungen als ekstatisches, nicht enden wollendes Gelächter, stilles Schmunzeln wie auch als kindisches Gekicher ein Mittel der Kommunikation. Lachen und Weinen erachtet er nicht als reflexhafte Reaktionen, sondern als Antworten auf spezifische gesellschaftliche Situationen. Entsprechend dürfe das Lachen nie für sich allein betrachtet werden, sondern man müsse es immer in genau der Situation beurteilen, auf die es sich jeweils beziehe. Plessner ist überzeugt, dass das Lachen eine ausschließlich dem Menschen zur Verfügung stehende Möglichkeit der Selbstdistanzierung ist. Im Lachen werde der Mensch ganz und gar fortgerissen und der Körper solcher­maßen sich selbst überlassen. Weil das Lachen sich aber lachend selbst verzehre, verhelfe es dem Lachenden derart wieder zu sich selbst. So wie man sich getröstet wieder aufrichtet, wenn man sich ausgeweint hat, richtet man sich Hermann Schmitz zufolge im und durch das Lachen auch wieder auf, nachdem man sich buchstäblich krummlachend die Fassung verloren hatte. Nur im Zusammenspiel von Selbstpreisgabe und Selbstbehauptung, das heißt im beständigen Rückbezug auf seine leibliche Bedingtheit, könne das Denken sich emanzipieren.
Manch einer wiehert vor Lachen, ein anderer gackert oder blökt – nicht von ungefähr ist das Lachen manchem Denker eine suspekte körperliche Äußerung der tierischen Natur des Menschen. Platon galt Lachen als Zeichen der Schwäche, Komödien waren ihm ein Graus, und für die geistlichen Autoritäten des Mittelalters war es schlicht des Teufels. Nicht ohne Grund fürchteten sich die damaligen Kleriker vor einer „fröhlichen Aufklärung“, die ihre Autorität zu untergraben drohte, wie Umberto Eco in seinem Roman Der Name der Rose beschreibt. Doch ohne das Vermögen, sich und sein Tun zu relativieren, das heißt, ohne die Fähigkeit über sich selbst zu lachen, ist Fortschritt nicht zu haben. Die kulturell verankerte Fähigkeit zur Kritik mittels auch tabuverletzender Satire, Witz und Ironie, sprich die Respektlosigkeit gegenüber „natürlichen“ Autoritäten weltlicher wie geistlicher Reiche, ist geradezu die Voraussetzung für die intellektuelle wie die wirtschaftliche Weiterentwicklung einer Kultur.
Anthony Ashley Cooper Shaftesbury gilt angemessener Spott als beste friedliche Waffe zur Entlarvung jeglicher Form von Fanatismus. Auch wenn es durchaus verständlich ist, dass nicht jeder über jeden Witz lachen kann, schon gar nicht der, dessen Überzeugungen auf die Schippe genommen werden, ist Shaftes­bury überzeugt, dass Wahrheit jegliches Licht ertragen kann: Das, was nur in einem gewissen Licht gezeigt werden darf, ist für ihn fragwürdig. Den von Shaftesbury propagierten Test auf Lächerlichkeit bestehen noch heute viele Regierende nicht. Doch nur da, wo der Streit über das Richtige auch mit den Mitteln des Humors ausgetragen wird, können in der Auseinandersetzung zweier Antagonisten Lösungen erwachsen, die beide Parteien zufrieden stellen.
Auch wenn es zuzeiten der Französischen Aufklärung wenig zu lachen gab, räumt sogar der als weltabgewandt und überaus trocken geltende Immanuel Kant dem Lachen das Recht ein, die Vernunft infrage zu stellen. Dass in allem, „was ein lebhaftes erschütterndes Lachen erregen soll, etwas Widersinniges sein“ muss, wie Kant sich ausdrückt, spreche keineswegs gegen das Lachen, bringe es als bloßes Spiel der Vorstellungen doch ein Gleichgewicht der Lebenskräfte im Körper hervor. Soll heißen: Was dem Geist widersinnig erscheint, was er mit den Werkzeugen der Logik nicht aufzulösen vermag, gefällt zumindest dem Körper und trägt zu einer Harmonisierung der scheinbaren Widersacher bei. Nur lachend lässt sich der Widerstreit zweier gleichermaßen vernünftiger, aber doch grundsätzlich verschiedener Formen der Weltaneignung und Weltsicht ertragen.
„Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, schreibt Albert Camus über einen, der dem Mythos zufolge von den Göttern dazu verurteilt wurde, einen großen Felsbrocken auf einen Berg hinaufzurollen. Doch kurz bevor Sisyphos nach unsäglichen Mühen schweißgebadet wenige Meter vor dem Gipfel anlangt, rollt der Stein wieder ins Tal hinunter und die Mühsal beginnt von neuem, bis in alle Ewigkeit. Allein aufgrund der endlosen, schier übermenschlichen Anstrengung wird Sisyphos seine Arbeit sicher nicht lauthals lachend verrichten. Doch zumindest ein zufriedenes Lächeln dürfte seine Mühen begleiten. Schon vor Camus hatte der Begründer der modernen Existenzphilosophie, Sören Kierkegaard, auf die Notwendigkeit, über das Absurde des Lebens zu lachen, aufmerksam gemacht. Es sei die Diskrepanz zwischen dem Ideal eines sinnerfüllten Lebens und den alltäglich praktizierten sinnlosen Handlungsritualen, die einen zum Lachen treibe. Auch wenn die Absurdität des Lebens letztlich nicht aufhebbar sei, so könne man wie Sisyphos im Lachen darüber zumindest Herr über sein eigenes Schicksal werden. Das Lachen „ent-spanne“ die alltäglichen wie die grundsätzlichen Widersprüche und entlaste diejenigen, die zwar um die Unverein­barkeit der Gegensätze wissen, aber auch entgegen der Maßgaben des eigenen Verstands verzweifelt nach Sinn suchen. Kierkegaard zufolge ist das Lachen solchermaßen die Vorstufe zum Glauben: Lerne man auf der humoristischen Stufe doch, dem aus rationaler Sicht ganz und gar Widersinnigen eine eigene Qualität abzugewinnen, die den unüberbrückbaren Gegensätzen des Daseins einen Sinn verleihe.
Neben dem Genuss einer Kanne Wein täglich war auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel dem Lachen nicht ganz abgeneigt. Die physiologische Erscheinung des Heiterseins erachtet er als ungetrübten Genuss einer zu sich selbst gelangenden Subjektivität. Auch Henri Bergson ist davon überzeugt, dass der Mensch im Lachen zur Anschauung seiner eigenen Indivi­dualität gelangt. Allerdings sei dafür ein hoher Preis zu entrichten: eine vorübergehende „Anästhesie des Herzens“. Um zum Beispiel über einen Sketch lachen zu können, in dem sich ein Mensch überaus tollpatschig benimmt, müsse man sein Mitgefühl kurzzeitig „ausschalten“. Auch wenn man sich derart lachend unweigerlich über das oder den Lächerlichen erhebt, sieht Bergson im Lachen eine soziale Geste, die Raum für neue Denk- und Verhaltensweisen schafft. Als „Formel für die Herstellung komischer Effekte“ er­achtet er die Konfrontation von Lebendigem mit etwas Mechanischem, wie sie zum Beispiel die von Charlie Chaplin kreierte Figur des Tramps in dessen Film Moderne Zeiten durchlebt. Der einer unaufhalt­samen Maschinerie Ausgelieferte werde zum Kon­trastmittel, dank dessen die über ihn Lachenden ihre eigene Mechanisierung erkennen könnten. Nicht die soziale Züchtigung des lächerlichen Menschen hat Bergson also im Sinn, sondern ein Werkzeug zur Selbsterkenntnis. Die Komödie erscheint in diesem Blickwinkel als „ein Mittelding zwischen Kunst und Leben“, mithilfe dessen man sich von den eigenen Mechanisierungen wie Denkgewohnheiten und festgefahrenen sozialen Regeln „reinigen“ könne.
Auf der Palette des Lachens finden sich aber auch Ausdrucksformen, bei denen einem das Lachen buchstäblich im Halse stecken bleibt. Die wohl grausamste Art eines solchen Lachens demonstrierte der Massenmörder Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011. Ausgelassen lachend erschoss er binnen einer Stunde 69 Teilnehmer eines Jugendlagers: Sie wurden von ihm im Gestus der Überlegenheit buchstäblich „totgelacht“. Eine Sympathie und Fröhlichkeit ausdrückende Gesichtsbewegung verzerrte sich zur Fratze der Herrschaft über Leben und Tod. Der Killer lachte stehend, weil alle anderen vor ihm lagen. Im Rausch des vermeintlich überlegenen Siegers lachte er, um die innere Leere mit irgendetwas zu füllen, das ihn in seinem Wahnsystem erleichterte. Im folgenden Strafprozess wandelte sich sein rasendes Gelächter zu einem entspannten Lächeln. Krank fühlt er sich nicht! Der Heilung bedürfen in seiner Sicht die anderen. Und er ist bei weitem nicht der einzige selbsternannte Welten­retter, der der Implosion der eigenen Nichtigkeit durch eine prahlerische Fratze vermeintlicher Auserwähltheit und wissender Führerschaft vorzubeugen sucht. Die Folterknechte ganz normaler kleiner wie großer, legaler wie illegaler Mächte demonstrieren bis heute mit ihrem Tun, dass der Besitz vermeintlicher Wahrheit grundsätzlich zwei Seiten hat: „Sie vernichtet die Gefolterten und belebt die Folterer.“
Gleichwohl ist das Vermögen, über sich und die Welt zu lachen, kein Widerspruch zur Vernunft, sondern geradezu die wichtigste Tugend des Menschen überhaupt. Nicht von ungefähr kommt der römische Philosoph Seneca zu dem Schluss, dass man alles auf die leichte Schulter nehmen und frohgemut ertragen sollte, denn: „Menschlicher ist es, über das Leben zu lachen als zu klagen.“ Wer nicht ideologisch motivierten Versprechen auf diesseitiges Glück in fernen Zukünften vertrauen mag oder denen auf jenseitige Erlösung seitens zahlloser Religionen, dem bleibt nur die gleichermaßen vernünftige wie heitere Auseinandersetzung mit den Absurditäten des Lebens. Wir sind nicht nur zum Lachen geboren, aber im Lachen über sich und die Welt liegt ein tiefer Ernst, erfüllt sich im Lachen doch das, was wir gemeinhin Philosophie nennen. Humor heißt, die Welt und den Menschen im Grunde zu bejahen, auch wenn man sie beständig infrage stellt. Für den reinen Verstand gibt es nichts zu lachen. Wenn die Vernunft etwas nicht letztgültig zu lösen vermag, kann sich im Lachen darüber zeigen, was den Menschen von Maschinen und Tieren unterscheidet. Nur durch die Bereitschaft, über sich selbst zu lachen, lassen sich scheinbare und echte Widersprüche im zwischenmenschlichen Austausch überbrücken, denn gelacht wird überall auf der Welt in der gleichen Sprache!

Dr. Siegfried Reusch, Chefredakteur