der blaue reiter, Ausgabe 33
ISBN: 978-3-933722-37-9
€ 15,90 (D, unverb. Preisempf.)



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der blaue reiter Ausgabe 33

 



Denken Frauen anders?


Die Frage nach dem Denken der Frauen beantwortete die Philosophie über Jahrtausende bestenfalls mit Schweigen. Was als allgemein menschlich galt, wurde von der männlichen Lebensform abgeleitet, so die Grazer Philosophieprofessorin Elisabeth List, das Weibliche gegenüber dem Männlichen als bestenfalls defizitär betrachtet.
Philosophinnen, Literaturwissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Schriftstellerinnen, eine Neurowissenschaftlerin und die Stimme der deutschen Frauenbewegung, Alice Schwarzer, ziehen eine intellektuelle wie praktische Bilanz aus 40 Jahren Frauenbewegung – Was wurde erreicht? Was muss noch erkämpft werden? Welche Widersprüche haben sich ergeben? – und setzen sich kritisch mit Fragen nach dem Anders-Sein von Frauen auseinander: Denken Frauen anders? Sind Frauen die besseren Menschen? Brauchen wir eine Frauenquote? Ist die Wissenschaft im Allgemeinen und die Philosophie im Besonderen androzentrisch? Ist zu viel Gleichmacherei schädlich? ...

Aus dem Inhalt:

thema


Unterschiede sind etwas Bereicherndes

Der Versuch, die ganze Welt im Begriff einzufangen, entspricht dem männlichen Interesse an Macht: Mann wolle die Vielfalt beherrschen, das Andere in den Griff kriegen. Frauen interessieren sich für das Weggelassene, auch weil sie selbst zum Weggelassenen gehören. Aber wenn feministische Ethik nur das Gegengewicht zur androzentrischen Ethik formuliert, ist sie reaktionär.
Ein Interview mit Annemarie Pieper

Eine Frau ist die Geschichte einer Frau
Es ist eine unglückliche identitätspolitische Idee, das Geschlecht als eine wählbare oder gar umoperierbare Angelegenheit anzusehen. Ein Mann, der darunter leide, keine Frau zu sein, hatte als Mann Kontakt mit Frauen, nicht als Frau mit Frauen, und erlebt mithin andere Beziehungen. Frauen denken unter anderen Umständen als Männer, und selbst Frauen können sich nicht einfach hinsetzen und sagen: „Ich denke jetzt weiblich.“
Ein Interview mit Petra Gehring

Hoffnungslos weiblich!
Der Stoff des Lebens ist komplizierter als eine Ideologie

Freiheit ist nur etwas wert, wenn man das Bewusstsein dafür hat. Emanzipiert, aber doch ganz Frau sein, sich unter Zuhilfenahme von High-Heels und kurzen Röcken durchsetzen, all das kann frau durchaus machen, muss aber wissen, dass dies Verhaltensmuster verfestigt, die Frauen zum Objekt machen statt zum Subjekt. Die Voraussetzung für jede Emanzipation ist nach wie vor die ökonomische Eigenständigkeit der Frauen: Frauen, die sich in ihren Kindern und Männern ausleben müssen, weil sie keine eigene Existenz haben, sind eine Belastung für alle Beteiligten: „24 von 24 Stunden Mama, das ist auch für Kinder die Hölle.“ Väter sind auch Eltern!
Ein Interview mit Alice Schwarzer

Verallgemeinerung ist die Krux der Neurowissenschaften
Obwohl sich naturwissenschaftlich nachweisen lässt, dass die Gehirne von Männern und Frauen Sprache in unterschiedlichen Arealen verarbeiten und Frauen für bestimmte Aufgaben bei gleicher Leistung weniger Energie benötigen, lässt sich seriöser Weise daraus weder schließen, dass Frauen effizienter, noch dass sie „anders“ denken.
Ein Interview mit Bettina Pfleiderer

Philosophie als Wissenschaft ist ein grundsätzlicher Fehler
Dass man in diesem Land immer noch glaubt, fragen zu müssen, ob Frauen anders denken, ist schon unglaublich. Auch wenn es hochmütig klingt, aber ich stelle immer wieder fest, dass Deutschland in dieser Frage ungefähr 25 Jahre hinter anderen entwickelten Ländern zurück ist. Dass es in Österreich noch schlimmer aussieht, ist nur ein kleiner Trost. Nur weil ich eine Frau bin, muss ich mich nicht für feministische Theorien interessieren!
Ein Interview mit Susan Neiman

Begehren kann man nicht vorschreiben
Über sein Geschlecht kann man ebenso wenig rational entscheiden wie über die Art und Weise, in der man seine Sexualität lebt: „Nicht wir bestimmen das Geschlecht, das Geschlecht bestimmt uns!“ Auch wenn sich Rollenmuster durch permanente Einübung wie Naturgesetze in Körper einschreiben können, ist das reale Erleben von sozialem und biologischem Geschlecht immer Gegenstand von Deutungen. Um zu einem toleranteren Verständnis sexueller Vielfalt zu gelangen, muss man nicht fragen, wie man aus bestimmten Rollenmustern ausbrechen kann, sondern anerkennen, wie viele Menschen niemals in diesen Mustern lebten.
Ein Interview mit Judith Butler

Was heißt schon Frau?
Der Fetisch des universalistischen Subjekts

Der deutsche Feminismus ist oft bei einer Subjektkonstitution hängen geblieben, die den idealistischen Subjektbegriff der Aufklärung übernommen hat. Dieser schließt das Weibliche aus und ist grundsätzlich frauenfeindlich. „Ich kenne keine Disziplin, die so phallizistisch verbohrt ist wie die deutsche Philosophie! In fast allen Arbeiten deutscher Philosophen zur Subjekttheorie spielt die Geschlechterdifferenz, die Differenz überhaupt, keine Rolle.“
Ein Interview mit Barbara Vinken

Bilder des Lebendigen.
Die Kunst der Kontingenzbewältigung

Philosophie muss ihre Verantwortung wieder wahrnehmen und dem Leben dienen, nicht es erobern! Das heißt: Philosophie muss sich an humaner Relevanz orientieren. Frauen verkörpern das Humane zwar besser als Männer, aber wir dürfen die androzentrische Wissenschaft nicht durch gynozentrische ersetzen und müssen den Umgang mit Kontingenz wieder erlernen.
Ein Interview mit Elisabeth List

Eine Frau hat kein Geld, sie ist Geld
Die Kastration des männlichen Körpers macht Geld fruchtbar: Das Geld hat Sex, nicht dessen Besitzer, es bedient sich eines fremden Glieds; denn Geld besetzt die Libido. Die Geschichte der Prostitution bildet eine Parallele zur Geschichte des Geldes, neben der Wallstreet blüht die Prostitution. Aber: Schrift und Geld sind untrennbar miteinander verbunden. Aufgabe der Gender-Forschung ist die Analyse des Unbewussten der Gesellschaft.
Ein Interview mit Christina von Braun

Grundsätzlich ist jede Frau auch stark
Es gibt keine weibliche Ästhetik, aber Frauen haben einen anderen Blick auf Frauen. Wir suchen nicht nur nach den Hollywood-Kategorisierungen für Frauen: Schönheit, Glamour oder Sex-Appeal. Wir haben einen Blick, der alles zulässt, der die Gesamt-Persönlichkeit zu beschreiben versucht und nicht nur einen Aspekt.
Ein Interview mit Margarethe von Trotta


umfragen
Denken Frauen anders?
Brauchen wir eine Frauenquote?

Mit dem Mikrofon unterwegs auf Aachens Straßen waren Katja Meiners und Lothar Meier.
Außerdem: Kurze Beiträge von Prominenten.


essay
Der lange Schatten der Vergangenheit
Die Vorkämpferinnen der Emanzipation wollen vom „anders“ nichts mehr wissen: Wichtig ist, dass Männer aufhören, Frauen auf ihr Geschlecht zu reduzieren und Frauen aufhören, sich vornehmlich mit ihrer Geschlechtlichkeit zu identifizieren. Dann haben die Individuen freie Bahn, sich im Leben so zu verorten, wie es ihnen gemäß und genehm erscheint.
Autorin: Barbara Sichtermann


lexikon
Blaustrumpf
Autorin: Jutta Heinz

Einparken, rückwärts
Autorin:
Bettina Gundler

Hausmann
Autorin:
Susanne Schmetkamp

Hoffnung, gute
Autorin:
Barbara Duden

Matriarchat
Autorin:
Beate Wagner-Hasel


unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur

Haben Sie Probleme philosophischer Art? Dr. B. Reiter sorgt für Aufklärung!
Autor: Dr. B. Reiter

Ikea, Frauen, Quote und ich
Dass Frauen aus dem saudi-arabischen IKEA-Katalog wegretuschiert wurden, gilt hierzulande als Skandal…
Autor: Stefan Reusch


portrait
Denkt Simone de Beauvoir „anders“ als…?
Existenzieller Selbstentwurf und gesellschaftliche Prägung

Während männliche Subjekte sich selbst als Existenz herstellen können, wird Frauen der Kopf Richtung Weiblichkeit gerückt. Sartre ist, was er aus sich gemacht hat, Beauvoir, was die Gesellschaft in ihr sehen will. Entsprechend wurde Sartre von Freunden zum „Gott von Paris“ und Beauvoir zur „Notre-Dâme de Sartre“ gekrönt.
Autorin: Hannelore Schlaffer