der blaue reiter, Ausgabe 29
ISBN: 978-3-933722-31-7
€ 15,90 (D, unverb. Preisempf.)



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der blaue reiter Ausgabe 29

 



In Bewegung

Philosophie der Veränderung

Bewegung ist das Medium, mit dem und über das der Mensch die Welt erfasst. Seit den
naturwissenschaftlichen Entdeckungen der Moderne wird Bewegung nicht mehr als
grundlegendes Prinzip einer göttlichen Ordnung verstanden, sondern als Tatsache: als
beobachtbarer, messbarer, schriftlich und bildlich fixierbarer Sachverhalt. Bewegung und
mithin Veränderung sind in der modernen Welt nur mehr Kategorien der Mach- und der
Gestaltbarkeit. Begriffe wie Schicksal werden als psychologische Angst- und Versagens-
bewältigungsstrategien diskreditiert.
Unbeachtet bleibt im modernen naturwissenschaftlich-technischen Weltbild zumeist, dass
selbst vollkommene materielle Befriedigung nicht zum Verschwinden der grundlegenden
Sehnsucht führt, die den Grundantrieb des Menschen darstellt: sein In-der-Welt-Sein als
Suchender. Auch wenn die Dinge in Wahrheit niemals besser oder schlechter, nur eben
anders werden, wie Sebastian Haffner bilanzierte, ist Nietzsches Fazit „War Das – das
Leben? … Wohlan, noch einmal!“ als höchste Form der Bejahung eine Aufforderung zum
selbstbewussten Handeln.

Aus dem Inhalt:

thema


Kreative Zerstörung.
Wo alles möglich ist, aber nichts mehr geht

Denken und Handeln in der modernen Welt sind nicht mehr durch unverfügbare Ordnungen gerahmt, selbst das handlungsbestimmende Wertesystem ist permanenten Veränderungen unterworfen. Moderne Gesellschaften müssen ihre Identität auf beständigen und riskanten Wandel, auf Wachstum, Bewegung und Zerstörung einstellen. Aber die Einrichtungen, die Dauer und Sicherheit erzeugen sollen, tragen das „Prinzip“ ihrer Zerstörung in sich.
Autor: Hartmut Böhme

Nicht mehr hier und noch nicht dort.
Leben im Übergang
„Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“, diese Forderung Friedrich Nietzsches, auf jede Gefahr hin auszulaufen, ist heute Realität für jeden – jederzeit. Was möglich ist, soll wirklich werden und jede Wirklichkeit schafft neue Möglichkeiten. Ziele sind immer nur vorläufig. Gegen die allgemeine Verunsicherung hilft nur ein sogenanntes konstellares Denken, das sich geschmeidig den jeweiligen Verhältnissen anpasst.
Autor: Jens Badura

Welt in Bewegung: Revolution!
Bilder als Medien der Veränderung
Den Begriffen der Veränderung und Bewegung ist mit Logik kaum beizukommen. Denn sie definitorisch festnageln hieße, ihrem Sinn zuwiderhandeln. Am Beispiel der Revolution zeigt sich, dass Veränderung und Bewegung vor allem in Bildern „sichtbar“ werden, mithin, dass wer nach Veränderung fragt, sich vor allem mit den Bildern der Veränderung auseinandersetzten muss.
Autor: Dietrich Harth

Aufbruch ins Neue.
Denken in und aus der Bewegung
Neues entdeckt der Reisende nur, wenn er bereit ist für ein Denken und Handeln in offenen Horizonten. In diesem Sinne war Alexander von Humboldt kein Mann des Ankommens, sondern ein Mann des beständigen Aufbruchs. Sein „Denken in Bewegung“ eröffnet unablässig neue Perspektiven, erlaubt keinen festen, ein für allemal gegebenen Beobachterstandpunkt, sondern zwingt uns geradezu, bekannte Sichtweisen und Standpunkte beständig zu hinterfragen.
Autor: Ottmar Ette

Die Bewegung des Begriffs
Erst durch Bewegung werden Gedanken zu echten Begriffen. Hegel zufolge besitzen Begriffe eine eigene Form der Lebendigkeit, weil sie als Einheit von Denken und Sein den Übergang eines Gedankens in sein Gegenteil fassen.
Autoren: Michael N. Forster/Claudia Wirsing

Denken in Bewegung.
Vom Finden des Nichtgesuchten
Flanieren ist ein vom Zufall bestimmtes Gehen. Der Flaneur sucht nichts und findet doch etwas. Er spekuliert auf ein Glück, das sich im Finden des Nichtgesuchten einstellt. Gerade weil er frei über Ort und Zeit verfügt, kann er die Dinge anders und neu in den Blick nehmen – und ihnen so gerecht werden.
Autor: Georg Mein

Wahrheit in Bewegung
Wenn das Denken zu etwas gut sein soll, muss es der Wirklichkeit beweglich und geschmeidig – und vor allem auch sehr flink – folgen können. Diese Neuausrichtung menschlicher Rationalität, hat sich in der Wissenschaft inzwischen durchgesetzt. Erkenntnisse müssen sich in der Praxis bewähren, Wahrheit ist nur noch das, was nützt – den Zeitläuften scheint nichts Grundlegendes, nichts Bleibendes mehr abzuringen. Doch ist es eine Katastrophe, in der Veränderung auf nichts Festes bauen zu können?
Autor: Udo Grün

Verwandlungen des Lebendigen.
Metamorphosen im Wandel
„Keinem bleibt seine äußere Gestalt, die Verwandlerin aller Dinge, Natur, sie läßt aus dem Einen das Andere werden ... nichts, so möchte ich glauben, verharrt auf lange im gleichen Zustand.“ Der unablässige Gestaltwandel, altgriechisch metamórphosis, wurde von Ovid dichterisch gestaltet und von Goethe zum theoretischen Prinzip erhoben: Gerade in der ewigen Umwandlung, so Goethe, besteht das Lebendige der Natur.
Autor: Yuho Hisayama

Wille zum Wandel?
Über den Umgang mit Veränderungen in Organisationen und die Rolle von Führung
„Es ist nicht die stärkste Art, die überlebt und auch nicht die intelligenteste, sondern diejenige, die sich am besten an Veränderungen anpasst.“ Aber: Überleben wollen viele, den Preis in der Währung Veränderung dafür bezahlen, jedoch eher Wenige.
Autor: Klaus Doppler

Zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit.
Alfred North Whiteheads Methode der spekulativen Philosophie
Der Schlüssel zum Verstehen, wie Neues entstehen kann, ist bei Whitehead zugleich das alte Rätsel der Schöpfung. Gottes Schöpferfunktion liegt in der ständigen Vermittlung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit.
Autorin: Maria-Sibylla Lotter

„Wie geht’s?“
Bewegungswissen des Körpers und der Gesellschaft
Erst die körperliche Bewegung verleiht der Handlungsabsicht einen praktischen Sinn, indem diese im Bewegungsvollzug sozial wirksam wird. Die stillschweigende Voraussetzung alltäglichen Wissens über die Bewegung, die besagt, dass der Körper macht, was der Kopf ihm sagt, ist jedoch eine grobe Vereinfachung. Denn die körperlichen Dimensionen des Handelns erfolgen nicht reflexiv, sondern intuitiv über ein verleiblichtes Wissen.
Autorin: Gabriele Klein

Die ewige Wiederkunft des Gleichen
Friedrich Nietzsches Formel von der ewigen Wiederkunft des Gleichen ist kein Grund zur Resignation. Sein Leben so zu leben, dass man es genau so, wie es gelebt wurde, noch einmal leben möchte, ist in der Tat eine gute Medizin gegen das allerorts grassierende Unbehagen angesichts einer Zukunft, die, wie Karl Valentin einst höhnte, früher auch schon mal besser war…
Autor: Andreas Luckner


umfrage
Was muss sich verändern?
Mit dem Mikrofon unterwegs auf Aachens Straßen waren Jessica Dlugaj und Dario Schach.


kolumne
„Was bedeutet die Bewegung?“
Bringt der Ost mir frohe Kunde? / Seiner Schwingen frische Regung / Kühlt des Herzens tiefe Wunde. Franz Schubert hat dieses Gedicht aus Goethes West-östlicher Divan in einer Weise vertont, für die das Wort Bewegung wie geschaffen erscheint, die Bewegung des Gefühls, die jenen anderen, den mess- und nutzbaren Bewegungen so fernsteht.
Autor: Friedrich Dieckmann


essay
„mit der Seele suchend…“
Das Widerspiel von Sehnsucht und Angst
Unbeachtet bleibt im modernen naturwissenschaftlich-technischen Weltbild zumeist, dass selbst vollkommene materielle Befriedigung nicht zum Verschwinden der grundlegenden Sehnsucht führt, die den Grundantrieb des Menschen darstellt: sein In-der-Welt-sein als Suchender. Sehnsucht, ist ein beständig in Bewegung befindliches, fliehendes Denken, das zwar Ziele, aber keine Ankunft kennt.
Autor: Stefan Diebitz


lexikon
Formel 1
Autorin:
Jutta Heinz

Rhythmus
Autor:
Jan Urbich

Spaziergang
Autorin:
Gudrun M. König

Telos
Autor:
Georg Toepfer

Transsubstantiation
Autor:
Martin Bauer

Umzug/Tapetenwechsel
Autor:
Jörg Rössel


unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur

Haben Sie Probleme philosophischer Art? Dr. B. Reiter sorgt für Aufklärung!
Autor: Dr. B. Reiter

Halt! Keine Bewegung!
Autor: Stefan Reusch


portrait
Fluss der Dinge oder statisches Sein?
Heraklit und Parmenides
Die grundlegende Frage nach dem Gegensatz zwischen Stillstand und Bewegung wird von Parmenides und Heraklit im Zusammenhang mit der Frage nach dem Wesen des Seienden diskutiert. Während Parmenides alle Veränderungen als nur scheinbare glaubt entlarven zu können, verficht der von Platon zu dessen Antipoden stilisierte Heraklit die These, dass alles in beständiger Veränderung begriffen ist und dass entgegen dem geläufigen Verständnis gerade Bewegung und Veränderung es sind, die den Fortbestand einer Sache garantieren.
Autor: Christof Rapp