der blaue reiter, Ausgabe 16
ISBN: 978-3-933722-07-2
€ 15,10 (D, unverb. Preisempf.)



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der blaue reiter Ausgabe 16

 



Sex


Die körperliche Entäußerung der von den Dichtern viel besungenen Liebe, die gelebte Sexualität, findet in den Gedankengebäuden der meisten Philosophen kaum Erwähnung. Platon, so schreibt Arthur Schopenhauer in der Metaphysik der Geschlechtsliebe, bleibt „im Gebiet der Mythen, Fabeln und Scherze …, das wenige, was Rousseau … über unser Thema sagt, ist falsch und ungenügend … Kants Erörterung des Gegenstands … ist sehr oberflächlich und ohne Sachkenntnis, daher zum Teil auch unrichtig“.
Das Spektrum der Beiträge in der Ausgabe zum Thema Sexualität reicht von philosophischen Auseinandersetzungen mit den Themen Geburt und Gender über Begehren, Liebe, Minne bis hin zu Orgasmus, Phallos und der Forderung nach einer Wiedererotisierung der Welt.

Aus dem Inhalt:

thema


Weder „Befreiung“ noch „Unterdrückung“. Eine kurze Geschichte der Sexualität
Sexualität in einem wissenschaftlichen Sinne ist eine sehr deutsche Erfindung. Solange Menschen leben, wird das Problem, wie ihr Begehren zu meistern ist, bestehen bleiben.
Autor: Tilmann Walter

Herbert Marcuses „Wiedererotisierung der Welt“
Eros ist unendlich mehr als Sexualität. Aber die Gesellschaft hat alles in eine zu bezahlende Ware verwandelt. Sexualität wird in ein gängiges Massenprodukt verwandelt und Befriedigung in einen Wurmfortsatz der Kreditkarten.
Autor: Otto-Peter Obermeier

Geschlecht denken
In den letzten Jahren ist die Auseinandersetzung um die Bedeutung des Geschlechts in allen Lebensbereichen zu einer Diskussion darüber geworden, was wir überhaupt meinen, wenn wir von „Geschlecht“ reden. Die Vorstellung einer „Natur der Zweigeschlechtlichkeit“ als unmittelbar erlebbare, körperlich und/oder biologisch begründete und nicht weiter zu hinterfragende „objektive Realität“ ist ein (kulturell produziertes) Missverständnis.
Autorin: Carol Hagemann-White

Macht- und Geschlechterverhältnisse im klassischen Altertum. Eine Foucault’sche Perspektive
„Übe deine Regierung über dich selbst genauso aus wie über die anderen und denke daran, dass das königlichste Verhalten darin liegt, keines Vergnügens Sklave zu sein und seinen Begierden noch mehr zu befehlen als seinen Landsleuten.“ (Isokrates)
Autor: Wolfgang Detel

„…Du, man muß nicht erst Weib werden…“ Lou Andreas-Salomés Gedanken zu Sexualität und Geschlechterdifferenz
„Von der sinnlichen Leidenschaft führt kein Weg zur geistigen Wesenssympathie wohl aber von jener zu dieser.“ Und: „Die geistige Nähe zweier Menschen verlangt nach körperlichem Ausdruck, – aber der körperliche Ausdruck verschlingt die geistige Nähe.“ Diese beiden Sentenzen aus Lou Andreas-Salomés Stibber Nestbuch, zusammen mit ihrer Einschätzung des weiblichen Denkens: „Was nicht in unser Gefühl eindringt, beschäftigt unser Denken nicht lange“, beinhalten die Essenz ihrer Gedanken zu Sexualität und Geschlechterdifferenz.
Autorin: Inge Weber

Fleisch werden. Jean-Paul Sartre und die philosophische Entdeckung des Begehrens
Dem Begehrenden geht es darum, den anderen ganz zu Fleisch werden zu lassen, um sich dessen Freiheit in dieser entfremdeten Gestalt zu bemächtigen. Lieben ist in seinem Wesen nichts anderes als der Entwurf, „zu machen, dass man geliebt wird“.
Autor: László Tengelyi

Die langsame Entzweiung der Körper. Michel Houellebecqs Romane
Michel Houellebecqs Romane spalten in regelmäßiger Folge das Lesepublikum in glühende Verehrer und erboste Kritiker, die dem Autor Gewaltverherrlichung, Frauenfeindlichkeit und Pornografie vorwerfen. Das Werk Houellebecqs kann als Versuch betrachtet werden, eine neue Art von Realismus zu schaffen: Literatur, die den Wirklichkeitsdruck verstärkt, anstatt von ihm zu entlasten, die im Abfall wühlt und an den Wunden des Unglücks leckt.
Autor: Oliver Kobold

„Weinende Augen – süßer Frauenkuss!“ Erotik im mittelhochdeutschen Minnesang
In den politisch bestimmten Zweckehen war Liebe nicht das wesentliche Element; das erotische Begehren war daher auf außereheliche Verhältnisse angewiesen.
Autor: Theodor Nolte

Und immer wieder ist es Liebe… Zu Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität
Stellen Individuen Sexualität auf Dauer, geraten sie in die Falle der Liebe; tun sie es nicht, werden sie einsam und egoman. Angesichts des Möglichkeitsreichtums sind „Ausbrüche“ in Form von Affären durchaus als funktionale Mechanismen zur Stabilisierung von Ehen anzusehen.
Autorin: Gabriele Strobel-Eisele

Verbot und Vergnügen. Eine kleine Geschichte des nackten Körpers
In der schriftlichen Überlieferung der Griechen ist der schamhafte Umgang mit der Nacktheit stets spürbar … Natürlich war man weit davon entfernt, den nackten Körper als Mittel der gesellschaftlichen und politischen Provokation oder auch als Vehikel unerschütterlicher Gesundheit zu begreifen. Dies blieb der Nacktkultur nach 1900, der Kunst der deutschen Avantgarde in den 1920er Jahren und den Hippies der 1960er Jahre vorbehalten. Sie haben allemal etwas bewirkt, über das wir uns heute freuen können: einen freieren Umgang mit dem nackten Körper … Ob die Fleischwogen der Loveparade allerdings etwas anderes bewirken werden als ein gähnendes Gefühl des Überdrusses, bleibt abzuwarten.
Autor: Carlos Obergruber-Boerner

Vergifteter Eros? Zum krisenhaften Verhältnis von Sexualität, Eros und christlicher Religion
In der Religiosität wie in der Sexualität geht es um eine Form des Ergiffenseins und des Außer-sich-Seins. Die Problematik der Sexualität zeigt sich in der Frage nach dem Bild des Menschen und nach der Ordnung, in die der Mensch eingefügt werden soll – wenn nötig, gewaltsam.
Autorin: Regina Ammicht Quinn

Liebe als philosophisches Programm? Gedanken zu einem Schlüsselbegriff bei Feuerbach
„Wie aber objektiv, so ist auch subjektiv die Liebe das Kriterium des Seins – das Kriterium der Wahrheit und Wirklichkeit.“ (Ludwig Feuerbach) Mit der Erhebung der Liebe zu einem Maß des Wirklichen stellt sich Feuerbach dem Hauptstrom der neuzeitlichen Philosophie entgegen.
Autorin: Christine Weckwerth


umfrage
Was ist schöner als Sex? Was ist besser als Sex?
Mit dem Mikrofon unterwegs war Silvia Lipski.


kolumne
Gold und Liebe. Die große Gastmahl-Show
Mittelgroßes Fernsehstudio, aufgemacht wie ein griechisches Theater, Glitzerkrempel, Publikum. Im Scheinwerferlicht eine schwülstige rote Lippencouch Modell Mae West. Darauf hingefläzt Sooonkater, der gastgebende Moderator…
Autor: Ingo Anhenn


interview
mit Barbara Duden
Die Ungeborenen
Geburt ist nicht mehr etwas, das Frauen können, sondern etwas, wozu sie in einem verwalteten Vorgang gebraucht werden. 
Medizinethik ist ein Widerspruch in sich.


essay
Das Wissen der Sirenen und die Verlockungen der Literatur
Die Macht des Sirenengesangs ist das unstillbare Begehren der Begegnung selbst. Zwischen
Urzeit und Utopie steht – selbst- und naturbeherrschend – Täter und Opfer zugleich, der am
Mast gefesselte Bürger Odysseus.
Autorin: Vivian Liska


lexikon
Geburt
Autorin:
Gisela Behrmann

Gender
Autorin: Monika Reutter

Orgasmus
Autor: Hermann Schmitz

Phallos
Autor:
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer


unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur

Haben Sie Probleme philosophischer Art? Dr. B. Reiter sorgt für Aufklärung!
„Wenn Philosophen, denen bekanntlich das Schweigen immer schon schwer fiel, aufs Gespräch sich einlassen, so sollten sie so reden, daß sie allemal unrecht behalten, aber auf eine Weise, die den Gegner der Unwahrheit überführt.“ (Adorno)
Autor: Dr. B. Reiter


portrait
La Mettrie und die Kunst, Wollust zu empfinden. Porträt eines verfemten Denkers
Der Wüstling hat, wie jeder „Normale“, die repressive Moral seiner Gesellschaft verinnerlicht, nur dass er zwanghaft ihre Regeln verletzt. Die Lust des Wüstlings ist nicht Wo(h)l-Lust, sondern Wüst-Lust oder, wegen ihrer negativen Fixierung auf die geltende Moral, Bös-Lust. Wollust ist „eine wahrhaftige Ekstase … die nur der Wollüstige, nicht der Wüstling, erleben kann“.
Autor: Bernd A. Laska