der blaue reiter Ausgabe 9 |
Inhalt
Naturlos
Ursprünglich bezeichnete Natur alles Seiende, einschließlich der Menschen und der Götter. Natur war das, was wesensgemäß von selbst da ist, und den Grund seines Vorhandenseins in sich selbst trägt. Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Natur und Mensch stellt sich die Frage, woher wir kommen, wenn wir in die "Natur" gehen. Wie verändert sich das Verständnis von der Natur im Lauf der Jahrhunderte? Hat das, was die "Natur"-Wissenschaftler zu erforschen suchen, noch etwas mit Natur gemein? Ist die Technik die Fortsetzung beziehungsweise die Entwicklung der Natur mit anderen Mitteln? Wie begründet sich der Anspruch des Menschen, gestaltend in die Abläufe der Natur einzugreifen? Hat die Natur ein Recht an sich?
Aus dem Inhalt:
thema
Kultur ist unser Beitrag zur Naturgeschichte
Das Grimmsche Märchen vom Fischer und seiner Frau beschreibt die Geschichte und die Zukunft der Industriegesellschaft. Noch nie haben sich Menschen so ausschließlich wie in dieser Gesellschaft dafür interessiert, was die Welt zu bieten hat, ohne je daran zu denken,
was sie dafür schuldig sind.
Autor: Klaus M. Meyer-Abich
Naturpazifismus und Selbstverachtung. Zum modernen Verlust der Natur
Als Entfremdung von der Natur wird bedauert, was sich nur wegen der Entfremdung bedauern lässt.
Autor: Wolfgang Ullrich
Der Ort der Inszenierung. Natur und Kultur im Medium des Leibes bei Merleau-Ponty
Merleau-Ponty bevorzugt gegenüber dem klassischen Ich denke der durch Descartes geprägten neuzeitlichen Philosophie das Ich kann des leiblichen Verhaltens.
Autor: Christian Bermes
Das Buch der Natur
Heute ist nur noch selten davon die Rede, im „Buch der Natur zu lesen“, was daran liegen mag, daß Unsicherheit über die Existenz des Autors besteht. Ob die Natur als ihre eigene Verfasserin gesehen wird oder ob der Mensch als der eigentliche Autor gilt – immer seltener wird die Natur als etwas aufgefaßt, das über sich selbst hinaus auf ein jenseits der sichtbaren Welt liegendes göttliches Prinzip verweist.
Autor: Stefan Gammel
Akrobatik in der Mitte. Über die Vermischung von Natur und Kultur im modernen Sportklettern
Der Fels ist Natur, während er gleichzeitig im Akt des Einrichtens und Definierens einer Kletterroute zu Kultur wird. Ob Natur oder Kultur, dies sind immer schon genealogisch vermischte Sachverhalte.
Autor: Andreas Steiner
Natur als Person
Die anhaltende Konjunktur der Naturdiskussion scheint eine Rückkehr aus dem aufgeklärt-wissenschaftlichen Forschen zu mystischen oder mythischen Verständnisweisen zu sein, in denen die Natur die „Ganzheitlichkeit“ des antiken Kosmos wiedergewinnt.
Autor: Paul Richard Blum
Die Kultur – Ein Armutszeugnis. Zur Philosophie von Hans Blumenberg
Regelmäßig dringen durch die Schleusentore der Kultur die unbändigen Kräfte der Natur ein.
Autor: Franz Josef Wetz
Eine Philosophie des Natur-Natur-sein-Lassens
Dass auch wir „Ekstasen“ des Naturkreislaufs sind und in diesen wieder zurückkehren müssen, ist für den abendländischen Menschen eine Zumutung. Natur kann, wie Sinn, nicht gesucht und nicht hergestellt, sondern nur erfahren werden.
Autor: Reinhard Falter
Das Rätsel der Maschine Mensch. Die Natur der Bewegung
Der menschliche Körper ist eine Maschine, die selbst ihre Triebfedern aufzieht – ein lebendes Abbild der ewigen Bewegung. Der homme machine ist als homme naturel verstorben.
Autorin: Käte Meyer-Drawe
Der Mensch im Technotop
Das menschliche Dasein vollzieht sich in der Weise technischen Existierens. Das technische Handeln ist das zentrale Vermögen des Menschen und als dieses ein Naturgegebenes.
Autor: Klaus Erlach
Naturlos: Ein Sadesches Paradox
Als Dreh- und Angelpunkt des Sadeschen Weltentwurfs erweist sich eine äußerst zweischneidige Naturkonzeption: Einerseits berufen sich die Libertin auf die „verbrecherische“ Natur, um ihren eigenen Handlungen das Prädikat „natürlich“ zu verleihen, andererseits entwerfen sie sich auf die Utopie eines „naturlosen“ Zustands hin, der ihnen ein „absolutes Verbrechen“ ermöglichen würde.
Autorin: Jana Ziganke
Naturphilosophie als spekulative Physik. Ein Blick zurück auf Schelling
Die Vernunft muß mit ihren Prinzipien in einer Hand und mit dem Experiment in der anderen an die Natur gehen, in der Gestalt eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt. Aber im Experiment erscheint die Natur immer nur als zerstückelte Natur. Nicht nur deshalb bezweifelt Schelling, dass man allein durch Experimentieren zu einem wahren Wissen über die Natur kommen kann.
Autor: Thomas Bach
umfrage
Welche Bedeutung haben für Sie Natur und Kultur?
Mit dem Mikrofon unterwegs waren Ute Friesen, Monika Reutter und Stefan Schüle.
interview
mit Gernot Böhme
„Natur, die wir selbst sind“
Es gibt in unserer gesellschaftlichen Entwicklung, in unserer Beziehung zur Natur viele drängende Probleme, bei denen die Arbeit des Philosophen gefordert ist. Was wir heute brauchen, ist eine kritische Theorie der Natur.
kolumne
Gestell am Pranger. Natur, Kultur und Detonation als Scheinprobleme des Denkens
Wo der Mensch ist, ist Natur nicht mehr.
Autor: Ingo Anhenn
Das Entschwinden der Natur
Der Beweis dessen, dass auch absichernde, ja harmlose Schutztechniken zur Gefahr werden können.
Autor: Klaus Erlach
essay
Frankensteins Natur oder: Prometheus und das romantische Feuer
Der Gedanke, einen Menschen künstlich herzustellen, gehört zu den ältesten Träumen der Menschheit. In ihm spiegelt sich der schöpferische Drang des Menschen wider, die triebhafte Natur durch einen geistigen Akt ersetzen zu können.
Autor: Thomas Lange
lexikon
Technik
Autor: Klaus Erlach
Vitalismus
Autor: Thomas Bach
unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur
Haben Sie Probleme philosophischer Art? Dr. B. Reiter sorgt für Aufklärung!
Warum Heidegger „Dasein“ schreibt und nicht Da-sein und warum er das Sein in der Wortverbindung „In-Sein“ groß schreibt, läßt sich wohl nur mit folgender, typisch deutscher Geisteshaltung erklären: Das In-Sein ist keine Eigenschaft, so Heidegger, „weil Dasein als In-der-Welt-sein ist, wie es ist.“ Basta!
Autor: Dr. B. Reiter
Interview mit dem Zauber-Philosophen Andino
Zauberer und Philosophen haben eines gemeinsam: sie zerstören vermeintliche Sicherheiten. Der Unterschied zwischen dem Philosophen und dem Zauberer ist der, daß der Philosoph nicht täuschen will, sondern mit dem Anspruch auftritt, Wahrheiten zu formulieren. Zaubervorstellungen sind die einzigen Veranstaltungen, bei denen sich die Leute beschweren würden, wenn sie nicht betrogen würden.
Mysterien der Fernsicht. Dem Turme geschworen, gefällt mir die Welt
Steigen wir den Turm empor, die herrliche Fernsicht zu genießen. Den Fernsehturm hinauf. Wohin gehört der eigentlich, philosophisch?
Autor: Udo Dickenberger
portrait
Paracelsus – Mit der „Natur“ zur „Kultur“
Die Natur als solche gibt nichts an den Tag, das an seiner Stelle schon vollendet wäre, sondern der Mensch muß es vollenden. Es ist die „Alchimia“, welche die Welt der Naturstoffe umbildet zu einer Welt der Kunststoffe; aus der primitiven Natur wird die reiche Zivilisation.
Autor: Heinrich Schipperges
reihe Außereuropäische Philosophie
Insel ist Insel. Zum Problem des Identischen im britischen Denken
In der englischen Philosophie zählt das Verfahren vereinfachender Reduktion komplexer Probleme viel. Die englische Tradition zeichnet sich dadurch aus, daß sie Fragen der Identität übergangen hat. England ist England, Britannien ist Britannien, Insel ist Insel, wir sind wir.
Autor: Rüdiger Görner
pro & contra Klonen
Klonen – Gegen das schlechte Image einer guten Sache
Klonen ist legitim, da durch das Klonen keine anderen Menschen in ihren Interessen geschädigt werden. Warum sollte ein Kind, das geboren wird, weil es als Knochenmarkspender für eine Schwester oder einen Bruder benötigt wird, von seinen Eltern weniger geliebt werden?
Autor: Udo Schüklenk
Der Mensch als Gebrauchsgegenstand – Argumente gegen das Klonen
Die Freiheit des Menschen beinhaltet auch seine Unverfügbarkeit. Das Klonen kommt einer Verweigerung der Gnade der Nichtexistenz gleich.
Autor: Thomas Zoglauer