der blaue reiter Ausgabe 34 |
Inhalt
Was ist der Mensch?
An der Grenze zwischen Mensch und Tier
Aus biologischer Sicht ist der Mensch nur ein Tier unter vielen. Aber selbst wenn der moderne Mensch aufgrund der vielfachen, auch gentechnologischen Bestätigungen der Evolutionstheorie von Charles Darwin sich selbst so fraglich geworden ist wie nie zuvor, ist er doch nicht „nur“ Tier. Gerade in der Fähigkeit, sich selber infrage stellen zu können, sehen viele Philosophen eine Befähigung des Menschen, die ihn gegenüber allen anderen Tieren auszeichnet. „Den Menschen ausgenommen wundert sich kein Wesen über sein eigenes Daseyn“, heißt es zum Beispiel bei Arthur Schopenhauer.
Aus dem Inhalt:
thema
Menschen und andere Tiere
Zwischen Denken und Dünkel
Vernunft und Kultur, die bis vor kurzem als wichtige Alleinstellungsmerkmale des Menschen galten und seine Sonderstellung gegenüber den Tieren begründeten, sind ein Teil der Natur – nicht unabhängig von ihr oder im Widerspruch zu ihr. Dies nicht zu verstehen hieße, den Menschen nicht zu verstehen.
Autor: Rüdiger Vaas
Jede Katze hat drei Namen!
Jacques Derridas Tierphilosophie
Auch wenn sich der Mensch Jacques Derrida zufolge nicht essenziell vom Tier unterscheidet, beharrt er doch auf den Ungleichheiten. Es ist nämlich genau dieser Bruch, das Trennende, was Mensch und Tier aufeinander bezieht, denn: „Das Tier hilft, den Menschen zu dem zu machen, wofür er sich nimmt.“ Damit Raum für die Andersheit des Tiers entsteht und wir Tiere moralisch berücksichtigen können, müssen wir die Tiere in den „Kreis der Sympathie“ aufnehmen.
Autor: Markus Wild
Das Maß aller Dinge!
Wider die Vertierung des Menschen
Dass der Mensch vom Tier abstammt, bestenfalls ein „besonderes“ Tier sei, gilt den heutigen Biologen als ausgemachte Tatsache. Doch das Wesen des Menschen wird zu gering geachtet. Martin Heidegger zum Beispiel verwahrt sich vehement gegen die Vorstellung des Menschen als eine Art Über-Tier und betont dessen „weltbildendes“ Wesen im Gegensatz zum „weltlosen“ Tier.
Autor: Martin G. Weiß
Der Staat und die Tiere
Tiermetaphern in der politischen Theorie
Bei allem Mitgefühl für die Kreatur darf nicht vergessen werden, dass Tiere für den Menschen auch tödliche Feinde sein können. So ist in Lappland laut Brehms Tierleben von 1883 „das Wort Friede gleichbedeutend mit Ruhe vor Wölfen“. Nicht von ungefähr charakterisiert Thomas Hobbes das vorstaatliche Miteinander der Menschen mit dem Satz: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Solche Vergleiche sind jedoch mehr als nur illustratives Beiwerk politischer Theorien.
Autor: Roland Borgards
Hierarchien menschlicher Liebe
Ich und der Hund
Wir halten Tiere, weil wir nicht wissen, was sie über uns denken. Mit Tieren gibt es keinen Dialog und daher auch keinen Streit. Weil wir Menschen besser kennen und mehr von ihnen erwarten als von Tieren, werden wir von Menschen auch öfter enttäuscht. Je besser ich – durch meine Arbeit als Biologin – die Tiere kenne, desto lieber sind die Menschen mir geworden.
Autorin: Andrea Grill
Der Mensch in der Ordnung des Lebendigen
Der Mensch ist ein Tier, das keines sein möchte. Alle Fähigkeiten des Menschen sollen das Ergebnis der natürlichen Evolution sein, Vernunft löst sich in Intelligenz auf, Geschichte in Naturgeschichte. Auf diese Naturalisierung antworten Philosophen wie Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen mit einer Kulturalisierung: Beim Übergang vom Animalischen zum Humanum wird aus Umweltgebundenheit Weltoffenheit, an die Stelle der tierischen Umwelt tritt die menschliche Kulturwelt.
Autor: Ralf Becker
Mensch und Tier – eine Frage der Würde
Das Bewusstsein der Würde verpflichtet uns, ihr gerecht zu werden. Eine menschenähnliche Behandlung menschenunähnlicher Tiere wird deren fundamentalen Lebensbedürfnissen aber nicht gerecht. Weil der Mensch nicht wie das Tier in eine Umwelt eingebunden ist, auf deren Anforderungen er instinktiv reagiert, sondern mit der Fähigkeit begabt ist, sich selbst und seine Position in der Welt zu hinterfragen und auch zu gestalten, ist er ein zur Moral befähigtes Wesen. Aus dieser Befähigung resultiert aber nicht zwangsläufig auch moralisches Handeln.
Autorin: Heike Baranzke
Tierschutz oder Menschenschutz?
Die Suche nach dem Menschen in der Tierethik
Weil wir uns mit Fischen weniger verwandt fühlen als mit Affen, kommt keiner auf die Idee, Menschenrechte für Forellen zu fordern. Aber nur weil ein Huhn weniger menschliche Fähigkeiten hat als ein Schimpanse, ist es nicht weniger schützenswert! Entsprechend ist es sinnvoll, Tiere aufgrund ihrer Besonderheiten moralisch zu achten und nicht wegen ihrer Ähnlichkeit zum Menschen. Das heißt, wir brauchen eine Ethik, die das Fremde als Fremdes zu achten lehrt.
Autor: Herwig Grimm
Schmiererei oder Kunst?
Über Kreativität bei Mensch und Affe
Ob, und wenn ja, inwiefern sich der Mensch von den Menschenaffen unterscheidet, ist die Leitfrage der Primatenforschung des 20. Jahrhunderts. Nachdem Werkzeuggebrauch und rudimentäres Sprachvermögen bei Primaten nachgewiesen wurden, steht nun eine alte Bastion des Menschen zur Disposition: die Kunst. Für uns Menschen gibt es jedoch kein Fenster ins Tierbewusstsein. Sind die Gemälde von Affen Kunstwerke oder bloße Schmierereien? Gibt es biologische Fundamente der Ästhetik?
Autor: Hans Werner Ingensiep
Werwölfe, Hausschweine, Terminatoren
Im Zweifel für den Anderen!
Anthropologie als Lehre vom Menschen muss mehr sein, als Rechtfertigungswissenschaft zum Ausschluss des Andersartigen, sie muss vor allem eine Solidarität der Sterblichen zum Ausdruck bringen. Wir brauchen einen inklusiven, einen auch Mischwesen aus Mensch und Tier beziehungsweise Mensch und Maschine einschließenden Humanismus: „Im Zweifel für den anderen!“
Autor: Thomas Macho
umfrage
Was ist der Mensch?
Was unterscheidet den Menschen vom Tier?
Mit dem Mikrofon unterwegs in Stuttgarts Schulen waren Schüler im Berufskolleg (BK1) am Wirtschaftsgymnasium West in Stuttgart.
kolumne
Mensch und Tier
Der Hund, hat Daniel Kehlmann einmal in einem Gespräch mit Sebastian Kleinschmidt gesagt, sei „das einzige Tier, das evolutionär auf den Menschen gesetzt“ habe, er habe „sozusagen auf ihn gewettet“. Doch sei er keineswegs das klügste Tier: „Manche Vögel sind viel intelligenter.“ Die beiden Weltbetrachter kommen auf den Papagei zu sprechen, der viel klüger sei als der Hund, der es im Verständnis des Menschen so weit gebracht habe. „Der Papagei“, sagt Kehlmann, „könnte uns noch viel besser verstehen, aber wir interessieren ihn nicht.“
Autor: Friedrich Dieckmann
essay
Der Philosoph und das Meer
„Nach dem Sternenhimmel ist das Größte und Schönste, was Gott erschaffen hat, das Meer“, behauptete Adalbert Stifter (1805–1868). Sein Schriftstellerkollege Thomas Mann (1875–1955) ging noch einen Schritt weiter, als er schrieb, dass das Meer gar „keine Landschaft“, sondern das „Erlebnis der Ewigkeit“ sei, ein „metaphysischer Traum“. Doch nicht nur Dichtern diente das Meer seit jeher als schier unerschöpfliche Inspirationsquelle ihrer Werke. Auch Philosophen gab das Meer mit seiner Offenheit, Tiefe, Weite und Ferne stets aufs Neue Anlass zum Nachdenken über Welt und Mensch, Sinn und Sein – über die Meere in uns selbst.
Autor: Richard Reschika
lexikon
Moorhuhn
Autorin: Jutta Heinz
Sodomie
Autor: Volkmar Sigusch
Tarzan
Autorin: Marianne Sommer
Tieropfer
Autor: Jan Urbich
unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur
Haben Sie Probleme philosophischer Art? Dr. B. Reiter sorgt für Aufklärung!
Autor: Dr. B. Reiter
Mensch, Tier, Kirche
Es gibt in Deutschland mehr Haustiere als Kinder, der Deutsche ist sehr tierlieb. Heißt nicht, er liebt alle Tiere. Holzbock, Wasserfloh, Kellerassel – da fährt er die Streichelhand nicht für aus, und auch „Bruder“ Bandwurm, den integriert er zwar, aber ungern. Seit neuestem darf die kosmetische Industrie hierzulande keine Tierversuche mehr machen. Gut. Hat der Mensch durchgesetzt. Jetzt aber: wohin mit den Überlebenden? In der Lasagne ist kein Platz mehr.
Autor: Stefan Reusch
Katzen-Philosophie
In der Philosophie wimmelt es nur so von Tieren: Berühmt sind Platons Huhn, Schopenhauers Pudel und Thomas Nagels Fledermäuse, die zur Illustration der unterschiedlichsten philosophischen Thesen herhalten mussten. Wahrhaft philosophische Wesen sind jedoch nur die Katzen. Nicht von ungefähr wurden sie von den alten Ägyptern als heilig verehrt.
Autorin: Jutta Heinz
portrait
Alle wahre Wissenschaft ist Naturphilosophie
Der Naturforscher und Philosoph Ernst Haeckel im Portrait
Mit der Evolutionslehre von Charles Darwin verlieren 1859 die überlieferten Grenzziehungen zwischen Mensch und Tier ihre Gültigkeit, und die Frage nach der Stellung des Menschen in der Natur verlangt nach einer neuen Antwort. Doch ausgerechnet Darwin hält sich in dieser Sache zunächst bedeckt. Ganz anders Ernst Haeckel: Wie kein Zweiter nimmt er sich als Zoologe und Philosoph genau dieser Frage an. Und dies hat Folgen: In seinem System der Philosophie ist die Lehre vom Menschen oder die Anthropologie nur noch als Teil der Zoologie möglich.
Autor: Thomas Bach
ethik aktuell
Der Wert des Lebendigen
Theaterstück in einem Akt
Sich immer nur hinter Fragen zu verstecken, statt zu handeln, ist keine Kunst. Das machen die Philosophen schon viel zu lange. Dasein heißt endlich sein, im Bewusstsein seiner Vergänglichkeit zu leben. Nur was ewig ist, hat keinen moralischen Wert, weil es sich der Bewertung in der Zeit entzieht.
Autoren: Ethikkurs der 10. Klasse des Wilhelms-Gymnasiums Stuttgart