Siegfried Reusch
Chefredakteur
Foto: Heinz Heiss
Editorial
Was ist Philosophie?
Ein neues philosophisches Journal mit eben dieser Frage zu beginnen, scheint naheliegend. Doch was, wenn es darauf keine klare Antwort gibt?
Ist Philosophie "...der Weg zur Weisheit durch die enge Pforte der Wissenschaft..." (Günther Bien) oder hat diese "...vor allem eine Weltanschauungs- und ideologiekritische...", mithin eine politische Funktion (Kurt Salamun)? Ja was, wenn Philosophie, wie Otto-Peter Obermeier schreibt, "...mehr oder weniger gekonntes Scheitern..." ist oder die Philosophie gar nur aus der "...Liebe zu einer nicht vorhandenen Frau..." besteht und das Philosophiestudium folglich nichts weiter ist als "ein Heiratsvermittlungsinstitut" wie uns Alexander Dill im Interview anvertraute? Wohin führt uns das Sinnieren, wenn der Kolumnist Klaus Erlach Philosophie "...ganz zwanglos als Zeitbuchhaltung..." bezeichnet und unter der Last einer langen Philosophiegeschichte mit Ernst Jandl in dessen "...o so viel sophie..." einstimmt? Wie soll man sich orientieren, wenn selbst das Philosophielexikon von Anton Hügli unter dem Stichwort "Philosophie" gleich zu Anfang herausstellt, dass es "...eine allgemein anerkannte Definition des Wortes Philosophie..." nicht gibt? Macht vielleicht gerade diese "Nichtabgeschlossenheit" und das permanente Sich-selbst-in-Frage- Stellen des Gegenstandes den Reiz und den Wert des Philosophierens aus?
Jeder glaubt zu wissen, was gemeint ist, wenn jemand auf die Frage, was denn sein Beruf sei, mit Bäcker, Manager, Chemiker, Lehrer oder Schornsteinfeger antwortet. Ein Bäcker bäckt Brot, Brötchen und Kuchen, der Manager ist leitender Angestellter in einem Betrieb, der Chemiker beschäftigt sich mit dem Herstellen und der Analyse von allerlei Chemikalien, der Lehrer versucht, Kinder und Jugendliche zu erziehen und zu belehren, doch was macht ein Philosoph? Kann Philosophie überhaupt ein Beruf sein? Ist Philosophie überhaupt zu etwas nütze?
Betrachtet man das Leben einiger "Philosophen", so nimmt es nicht wunder, dass besorgte Eltern, deren Kinder Philosophie "studieren" möchten, für diese lediglich ein entsetztes "...lerne lieber etwas Anständiges..." übrig haben. Können ein in einer Tonne lebender Diogenes, ein sich selbst das Augenlicht nehmender Demokrit, ein freiwillig in den Tod gehender Sokrates, ein wahnsinniger Nietzsche... als Beispiele für gelungenen Lebenswandel dienen? So oberflächlich betrachtet wohl kaum. Und doch hat heutzutage jede anständige Firma ihre "Philosophie", gibt es eine Philosophie des Weintrinkens, bezahlt der Staat Universitätsprofessoren dafür, dass sie das lehren, was hier in Frage steht.
Jedem scheint es offensichtlich zu sein was ihn erwartet, wenn er sich ein "Journal für die fleißige Hausfrau", eine "Fernsehzeitschrift", ein "Managermagazin" oder eine "Kunstzeitschrift" kauft. Doch was kann man von einer Zeitschrift, die sich "der blaue reiter – Journal für Philosophie" nennt, erwarten? Was ist deren Philosophie? Eugen Roth schrieb einmal über den Disput der Philosophen:
Ein Mensch verteidigt mit viel List:
Die Welt scheint anders, als sie ist!
Sein Gegner aber streng verneint:
Die Welt ist anders, als sie scheint!
Nach der Lektüre dieser Zeilen scheint die Frage nach dem Sinn des Philosophierens im Sinne bester sophistischer Tradition beantwortet: Philosophieren ist bestenfalls ein Zeitvertreib auf hohem Niveau. Dass Philosophie vielen Lust und Freude bereiten kann, hat sie mit vielen anderen Wissenschaften gemein. Diesen Spaß am Denken zu vermitteln, ist einer der Ansprüche dieser Zeitung. Über dieses "schöngeistige" Ideal hinaus wollen wir, Redaktion und Herausgeber, aber auch die Ernsthaftigkeit und weltverändernde Potenz philosophischen Gedankengutes aus der Enge der Studierstuben und Diskussionszirkel herausholen und einem breiteren als dem reinen Fachpublikum zugänglich und verständlich machen. Bei aller Ernsthaftigkeit
des Unterfangens sollen aber auch der Spaß und die Unterhaltung nicht zu kurz kommen, sowie der Genus des Schönen nicht achtlos als weltlich und unphilosophisch verteufelt werden.
Keiner Schule verpflichtet möchten wir auch ein Diskussionsforum schaffen, das den Staub von dicken Folianten bläst, aktuelle Diskussionen aufgreift und initiiert.
Unter dem Titel "Naturwissenschaft und Philosophie" wollen wir diesmal das Thema Interdisziplinarität unter dem Aspekt "Theoretischer Anspruch und praktische Erfahrung" aufgreifen und über mehrere Ausgaben hinweg diskutieren. Was können die Geisteswissenschaften in den oder für die Naturwissenschaften leisten? Was die Naturwissenschaften in der Philosophie? Handelt es sich hier um unvereinbare Gegensätze? Oder scheitert die Umsetzung von Idealen nur in der Praxis? Wir möchten alle Leser ermutigen, sich an dieser Diskussion mit eigenen Erfahrungen sowie theoretischen Vorstellungen zu beteiligen. Für unverlangt eingesandte Manuskripte können wir zwar keine Abdruckgarantie geben, möchten jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese, ebenso wie Leserbriefe, erwünscht sind. ...
Siegfried Reusch, Chefredakteur
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