Stefan Reusch
Reusch rettet die Welt!



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Zeichnung: CANIA  

Reusch rettet die Welt!




Wozu Philosophie?

Wenn Glücksspiel verboten wäre, müsste man dann nicht von Rechts wegen auch das Leben untersagen? Der olle Ci­cero sagt: „Im Leben regiert das Glück, nicht die Weisheit.“
Das immerhin stellt ihn auf eine Stufe mit einem wahrhaft Großen: Gerd Müller, in den 1970ern genialer Mittelstürmer. Der postulierte: „Wennst denkst, ist’s eh zu spät.“
Mit Philosophie kann man keine Tore schießen – oder was? Ach was. Müller geißelte damit das statische Denken. Nehm ich an. Das Denken, das nicht im (noch) Unverständlichen wühlt. Das Denken, das nichts sucht, dessen Synonym „googeln“ heißt.
Kürzlich schlug folgende Nachricht ein wie ein umfallender Reissack: Bald kann jeder mit Hilfe von Google Earth herausfinden, wer wann kürzlich wo war oder sich gerade aufhält. „Richtiges“ Suchen aber heißt: nicht da sein, wo man war oder ist. Es heißt: unruhig sein, reisend. Schließ­lich heißt es ja nicht „Stehhirn“, sondern „Gehirn“.
„Wozu Philosophie?“, lautete die Frage. Ich war froh, dass ich sofort antworten konnte. Ich sagte, ich wüsste es nicht. Mark Twain hatte das gesagt. Während unsereiner noch überlegt. Nun, in unserer Kultur ist Platz für so viele schöne Dinge wie Bundeswehr, Buchmesse, Buntwäsche sowie Wunderbäume und Fischfang – ist da nicht auch Platz für Philosophie?
Da winkt einer ab: „Ich komm aus Porz-Gremberg, und da steht diese Frage ganz unten auf der Agenda.“ – Erfunden, klar: Denn in Porz-Gremberg kennt keiner den Begriff Agenda. Stimmt nicht: Es gibt überhaupt kein Porz-Gremberg. Stimmt aber auch nicht. Na, dann will ich nichts gesagt haben. Nur so viel – nein, nicht mal das.
Es war einmal ein kleines Fragezeichen. Das war ganz allein. Denn die Leute wollten es nicht. Sie wollten Worte, schnell und klar und keine Fragen. Und das kleine Fragezeichen beugte den runden Rücken tief hinab und fragte traurig: „Wer bin ich?“ Es! Fragte! Wer! Den Leuten blieb die Spucke weg, sie hielten den Atem an und die Worte auch. Es gab eine Frage: „Wer?“ Und hinter der Frage „Wer?“ stand das kleine Fragezeichen. Ganz groß. Es verkündete: „Alle Menschen müssen sich ab jetzt fragen „Wer?“, „Wer bin ich?“, „Wer?“ mit Fragezeichen. Mit mir!“ – Und alle fragen sich seitdem: „Ja, wer bin ich denn eigentlich, frag ich mal, wer?“
Fragen wurde Pflicht, die sogenannte Wer-Pflicht. Selbstverständlich aber wurde die Wer-Pflicht nie. Denn immer noch steht hinter ihr ja ein kleines Fragezeichen.

(Entnommen aus: der blaue reiter – Journal für Philosophie. Wozu Philosophie? Ausgabe 25; 2008)


Das große Glück des kleinen Mannes

„Es gibt Menschen, die sind in der SPD und empfinden trotzdem noch so etwas wie Lebensfreude.“ So beginne ich seit Jahren mein Kabarettprogramm „Reusch rettet die Welt“.
Aktuell soll sie sein, die „Randgruppe“. (Übrigens: die SPD muss ich so gut wie nie gegen eine andere Gruppe austauschen.) Es könnte auch ein frischgebackener und unbeliebter Bundesligaabsteiger sein, die Kaste der Manager, aber nie Arbeitslose, nie Krankenschwestern. Es gibt immer einen schönen Lacher. Schadenfreude. Wichtig ist das abneigungserzeugende Element der „hybris“. Es muss die Gruppe derer „da oben“ treffen – egal ob dieses „Oben“ real ist oder herbeihalluziniert –, damit „die“ mal sehen, wie das ist. Weil, wem es besser geht als einem selbst, dem geht es wohl zu gut – und das geht nicht gut. Man möchte es eines Tages, irgendwann, kommen gesehen haben dürfen.
Diese Verheißung ist seine Vorfreude; die große Freude des kleinen Mannes ist es zu verlieren. Die Enttäuschung enttäuscht ihn nie. Sie ist gewiss, das macht ihn warm und wohlig, macht ihn allgemeingültig. Das macht ihn sagen: „Die Zeche zahlt immer der kleine Mann.“ Immer er. Jawohl. Exklusiv. Und er posaunt es wie die Verehrung seiner selbst hinaus, der große Gerneklein, dass er es ist, der die Zeche zahlt. Er verliert nicht, obwohl er ein gutes Leben führt, sondern weil. Der Misserfolg ist sein Gütesiegel, sein Ornat ist die Ohnmacht. Wer, wenn nicht der, der fremde Zechen zahlte, obwohl er selbst arm ist, führte ein gutes Leben? Dass er’s nicht aus gutem Herzen und eigenem Antrieb tut, will der kleine Mann nicht wissen, nicht wissen lassen. Er weiß es nicht, schließlich.
Er zürnt sich derart in Freude ob des guten Lebens, man kann sagen: Er fällt nicht auf sein kleines Mann-Klischee rein, er fühlt es, es fühlt sich komplett an, so ist ihm, dem Loser, die Last Lust.

(Entnommen aus: der blaue reiter – Journal für Philosophie. Das gute Leben. Philosophie der Lebenskunst. Ausgabe 28; 2010)