Alexandra Gusetti
Kopfüber in die Natur



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Kopfüber in die Natur

 




Natur und wir

Niemand kann sich der Frage nach der Natur entziehen. Wir besiedeln unseren Planeten, überschwemmen ihn mit unseresgleichen und handeln großteils als gebe es kein Morgen mehr. Menschen greifen ein ins Naturgeschehen, erschaffen veränderte Naturwelten und dehnen ihre Lebenszentren immer weiter aus. Aber das ist auch unser Talent, gestalten, formen, verändern: das ist es, was wir bemerkenswert gut können. Mit unserer Naturwelt, mit dem was uns an Welt umgibt zu agieren, zu bauen, zu formen, das ist unsere Geschichte. Gestaltung das ist unser Ding – formen, erfinden. Und wenn wir genau das gut können, warum sollen wir dann nicht eingreifen und uns in den großen Fluss einer Naturgesamtheit, die sich ohnehin ständig verändert, einklinken. Gut, schlecht, zu wenig, zu viel Eingriff ins Ganze der Welt, des Lebens, der Natur? Vielleicht sind das genau die falschen Fragen.

Besorgniserregend ist nicht unser Gestaltungsbedürfnis, sondern die Tendenz einer gewissen Sorglosigkeit, mit der Menschen gestaltend agieren. Wir wissen, dass unsere Ressourcen immer knapper werden, wissen dass wir umsichtiger und nachhaltiger wirtschaften sollten, dennoch überwiegt kurzsichtige Gewinn- und Profitorientierung im allgemeinen Naturumgang. Vielleicht ist die Frage nicht, ob wir uns mehr oder weniger in die Naturgesamtheit einmischen sollen, sondern mit welcher Haltung, mit welcher Ausrichtung wir das tun. Aber noch bevor wir uns über Haltungen und Nachhaltigkeiten den Kopf zerbrechen, wäre es an der Zeit zu klären, wer wir Menschen eigentlich sind. Menschen reden von „Mensch und Natur“. Ein trennendes kleines „und“ distanziert uns vom Naturgeschehen. Aber wer sind wir, wenn nicht Natur?

Natur ist ein ewiger Prozess des Werdens und Vergehens, erzählen schon die alten Griechen, die sich durch Beobachtung und Analyse (philosophisches Nachdenken) komplexes Naturwissen aneigneten. Merkwürdigerweise versinken diese alten Philosophenkollegen dabei in eine seltsame Trance. Während sie betrachten, forschen und diskutieren, beginnen sie zu vergessen, dass wir selber kluge und gestalterische Menschen sind, die selber mitten im Naturgeschehen stehen. Seit jenen alten Tagen reden abendländische Menschen gerne über die Natur, über natürliches Werden und Vergehen, über eine Natur rund um uns. Welch seltsamen Weg sind wir in unserer Naturkulturgeschichte gegangen, der uns einen Naturbegriff erfinden ließ, der uns selber ausschließt? Ein merkwürdiges abendländisches Menschenschicksal – ein philosophierendes Vergessen – weil, wenn nicht Natur – was sind wir dann?

Seit jenen alten Tagen hat sich wenig verändert. Wir nehmen Beziehung auf zu unseresgleichen, zu anderen Lebewesen, zur Naturumgebung und fühlen uns doch nicht so ganz zugehörig zum Naturganzen. Warum sind wir nicht glücklich Natur zu sein, mit allem was wir sind, waren und sein werden? Warum fühlen wir uns nicht als Natur, die uns in ihrer wunderbaren Vielfalt umgibt und durchdringt? Wenn nicht Natur – was sind wir sonst? Darüber mögen wir nicht so gerne nachdenken.

Der Mensch und die Natur. Eine merkwürdige Beziehung, ein merkwürdiges „und“.