Dietmar Mieth
Ketzerflammen in Paris

Ketzerflammen in Paris

 




Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte
Band 118, 2024
Die Autorin des berühmten „Spiegels der einfachen Seelen“ („Miroir des simples âmes“) wurde am 1. Juni 1310 auf der Place de Grève in Paris von der Inquisition dem Feuertod überantwortet. Der Roman des früheren Professors für Theologische Ethik an der Universität Tübingen wagt den Versuch, die Bedeutung dieses Ereignisses im intellektuellen, religiösen und politischen Kontext zu situieren und zu deuten. … Natürlich kommt Marguerite selber zu Wort, sie berichtet von ihrem Lebensweg; sie erinnert daran, dass die Beginen den „Weg der Liebe ausserhalb der Konventionen“ wählen. …
Die Leserschaft begegnet indes vor allem anderen Personen, die mit den Ereignissen um 1310 in irgendeiner Weise verbunden sind. Unter den verschiedenen Figuren, die das Wort ergreifen, ist vornehmlich der Zisterzienser Paul, ein Mönch des Klosters von Sénanque, den die Verurteilung und der Tod von Marguerite tief erschüttert hat, zu erwähnen. … Der Gross­inquisitor, der Dominikaner Wilhelm von Paris (Guillelmus de Parisiis) verteidigt dagegen seinen Prozess gegen die Templer, der bekanntlich 1310 zur Exekution von 54 Templern führte. …
Besonders bemerkenswert ist die vom Autor inszenierte Beziehung zwischen Marguerite mit Meister Eckhart, der ja bekanntlich ab 1311 erneut in Paris lehrte. Beide teilen die Hochachtung der Volkssprache: Mieths Eckhart sagt „neue Sprachen prägen neue Erfahrungen“. … Die vom Autor inszenierte Beziehung von Eckhart und Lull zu Marguerite – nicht sosehr im wörtlichen, historischen, sondern im übertragenen Sinne – ist nach meiner Einschätzung der wichtigste Aspekt des Buches. Die drei Personen sind, nach der Auffassung von Mieth, sich einig: „Wir brauchen wirklich eine andere Gesellschaft und eine andere Kirche“. Mieth beschliesst das Buch mit einem persönlichen Nachwort: „Marguerite heute lesen“ … und er formuliert schliesslich einen Traum: eine genaue Erforschung des Häresieprozesses „gegen eine Frau, die … zu Unrecht als Ketzerin verbrannt wurde“, als Anfang der kirchlichen Aufarbeitung ihrer irdischen Ungerechtigkeiten.
Text: Ruedi Imbach

www.kultur-port.de
29. März 2024
Der Autor ist ein ausgewiesener Kenner der Epoche. Gleich zu Beginn des Buches findet sich eine Liste von 28 Personen, deren Berichte an ein fiktives Tribunal zusammen den Roman ergeben. An der Spitze dieser Liste stehen der Papst, König Philipp IV., Meister Eckhart und endlich Königin Marguerite von Navarra … hier wichtig als die Leserin des Buches von Marguerite Porete, dem „Le mirouer des simples ames“, dem „Spiegel der einfachen Seelen“. Dieses Buches wegen wurde die Begine 1310 öffentlich verbrannt, aber ihr Werk ist erhalten … Eigentlich stellt die Geschichte dieser bedeutenden Frau das Zentrum des Buches dar.
Zu Wort kommen vor dem Tribunal aber auch noch ganz andere Personen, vor allem Guillaume-Imbert von Paris, ein Dominikanermönch, seines Zeichens Großinquisitor in Frankreich, der sich in derselben trockenen und distanzierten Sprache äußert wie die anderen Figuren. Die Schilderung eines Geschehens aus den verschiedensten Perspektiven kann den einzelnen Figuren Gerechtigkeit widerfahren lassen, auch solchen, die eine so fragwürdige Rolle spielten wie ein Inquisitor. …
Bereits als bloßer Sammler von Neologismen wäre Meister Eckhart hochbedeutend. Es ist gut, dass Dietmar Mieth auf sein Werk wie das Marguerite Poretes aufmerksam macht. Sie waren große Menschen.
Text: Stefan Diebitz, > Rezension im Wortlaut auf www.kultur-port.de

> Marguerite Poretes Liebesvisionen. Eine Provokation für die Kirche
Vortrag von Prof. Dr. Dietmar Mieth im Rahmen der Digitalen Ringvorlesung „Gottes Gegenwart erfahren“ der PTH Münster

> Eine christliche Antigone? Marguerite Porètes Widerstand gegen die Inquisition
Beitrag in feinschwarz.net, Theologisches Feuilleton