Jochen Hörisch
Der Dilettantismus der Geisteswissenschaften

Der Dilettantismus der Geisteswissenschaften

 




literaturkritik.de
Januar 2025
Wer Liebhaber einer Kunst oder Wissenschaft ist, ohne für sie professionell ausgebildet worden zu sein, ist ein Dilettant. Im Alltagssprachgebrauch wird der Begriff gelegentlich noch immer als Abwertung verwendet. Dabei sind Dilettanten durchaus zu beneiden. Denn wenn sie die Grenzen einer Disziplin überschreiten, dann um ihrer selbst willen. Man könnte auch sagen: Sie beschäftigen sich mit Dingen aus purer Begeisterung und Leidenschaft. Anders als Spezialisten oder Experten lassen sie sich von Reizen affizieren, die sich ihnen nicht vollends erschließen. Ihre beschränkte Kompetenz akzeptierend, bleiben sie begeisterte und wache Staunende.
Hörisch will seine Texte verstanden wissen als „Interventionen einer Geisteswissenschaft, die weiß, dass sie von allen guten Geistern verlassen wäre, wenn sie den Anspruch erhöbe, die bessere Fachwissenschaft zu sein“ – die dennoch aber selbstbewusst genug ist, zu hoffen, dass Anregungen geboten werden, die die jeweils zuständige Fachwissenschaft produktiv irritieren können. Schon mit dieser Rollenzu- und beschreibung gelingt Hörisch Großes: nämlich die Bedeutung der Geisteswissenschaften zu verteidigen und sie gleichzeitig aus ihrer Rechtfertigungsfalle zu befreien.
Im dritten und letzten Teil („Ökonomie und Politik“) wagt sich Hörisch am meisten aus seiner Disziplin heraus und widmet gleich mehrere Beiträge und Fallstudien dem Geld, das er als Leitmedium bezeichnet und es „das mächtigste, alle Epochenbrüche überdauernde und allen sozialen Subsytemen (mit-)prägende, ausschlaggebende Medium“ nennt. In diesem Teil des Bandes wird der eingangs beschriebene Gewinn geisteswissenschaftlicher Betrachtungen auf fachfremde Gebiete besonders offenbar.
In seiner Gesamtheit ist Der Dilettantismus der Geisteswissenschaften eine augenzwinkernde und augenöffnende Textsammlung eines wachen und mutigen Beobachters. Hörisch ist kundig und schnell, er argumentiert – wo angebracht – mutig und entschieden, lässt aber auch die Chance nicht aus, sich zu amüsieren und auch seine Leserschaft wohldosiert zum Schmunzeln zu bringen. Und vor allem ist er ein ermutigender Autor, der sein Publikum fordert mitzudenken, eigene Gedanken zu fabrizieren und zu widersprechen.
Text: Sebastian Meißner

Rhein-Neckar-Zeitung, RNZ Magazin
Nr. 154 vom 6./7. Juli 2024
Jochen Hörisch legt viel Klugheit zwischen zwei Buchdeckel – und zeigt dabei ein Herz für die gute alte Zeitung
Jochen Hörischs Plädoyer für das freie Denken sprüht selbst nur so vor originellen Denkansätzen.
Es gibt wohl kaum einen Zweiten, der so sehr geeignet ist, den Zeitgeist zu erfassen, wie der Dilettant. Jochen Hörischs Buch ist ein Loblied auf ihn. Und zugleich eine Anleitung zum unkonventionellen Denken.
Universalgenies sind allerdings out. Es lebe der Dilettant. Niemand geht so frei ans Werk wie der Halbkönner. Der, der es wagt, über Grenzen hinwegzudenken. Der geistreich brilliert, sich auch einmal irrt. Der aber immer den Gedanken auf seiner Seite hat, dass das Leben ohne ihn langweiliger wäre.
Jochen Hörisch ist so einer, der nicht nur die eigenen Synapsen springen lässt, sondern der als erfahrener Hochschulgelehrter ganze Studentengenerationen in kühnen Thesen zum einen aufs Beste unterhalten hat, zum anderen Zusammenhänge herzustellen vermag, die andere schlicht nicht sehen. So auch in seinem neuen Buch „Der Dilettantismus der Geisteswissenschaften“, in dem er alleine schon deshalb über sich schreibt, weil es sich schlicht um ein Kompendium an Aufsätzen handelt, dessen roter Faden der freie Geist ist.
Text: Klaus Welzel

Mannheimer Morgen
28. Juni 2024
Und die Geisteswissenschaften? Sie sind laut Hörisch „zum Dilettantismus verdammt“, wenn sie ihre handwerkliche Basis – die Erschließung von Quellen, die kritische Edition von Texten oder Prüfung von Provenienzen – verlassen und sich Werken der Tradition interpretierend zuwenden. Die Interpretation indes ist für Geisteswissenschaftler zumindest eine geheime Liebe, wenn nicht die offenkundige Lieblingsbeschäftigung. Das gilt auch für Jochen Hörisch, der seine Deutungen literarischer Texte auf andere Gebiete ausdehnt. Zu welchen überraschenden Ergebnissen dies führen kann, belegt der neue Sammelband einmal mehr.
Text: Thomas Groß

> Jochen Hörisch im Gespräch mit Siegfried Reusch im „h1 – Fernsehen aus Hannover“, August 2020