der blaue reiter, Ausgabe 48
ISBN: 978-3-933722-72-0
Preis: 16,90 € (D), 17,40 € (A)



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der blaue reiter Ausgabe 48

 



Nachhaltigkeit

Eine Frage der Verantwortung

Das Schlagwort „Nachhaltigkeit“ ist vom jahrzehntelangen Nischenthema sandalentragender Ökoromantiker in Naturschutzgruppen zum Zentrum des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses geworden. Nicht zuletzt die Stimmen der in Fridays for Future organisierten, um ihre Zukunft bangenden Jugendlichen verunmöglichen den Politikern das eingeübte Spiel des Abwiegelns und Beschwichtigens mit anschließendem ungebremstem „Weiter-wie-bisher“. Aber was genau ist mit Nachhaltigkeit gemeint? Sind der Verzicht auf weitere Technologien und eine Absenkung des westlichen Lebensstandards unausweichlich oder ist der Schlüssel zur Nachhaltigkeit gerade dort zu finden, wo die Ursache ungewöhnlicher Wetterphänomene begründet liegt: in noch mehr Technik? Sind die Leidenschaften des Menschen naturnotwendig oder vielmehr Defizite, die durch gesetzliche Verbote in Schranken verwiesen werden müssen? Brauchen wir eine neue Generationenethik?

Aus dem Inhalt:
 

thema


Schlüssel zum Überleben
Gravität und Flexibilität des Nachhaltigkeitsbegriffs

Wir müssen Einspruch erheben gegen die Endzeitstimmung, die unser Handeln lähmt. Auch wenn kein Begriff derart abgenutzt, verwässert und verbraucht ist wie derjenige der Nachhaltigkeit, ist er alternativlos. Denn zur Selbstsorge muss die Vorsorge treten. Dabei liegt der Schlüssel zur Nachhaltigkeit nicht im kognitiven Bereich, sondern im Sinnlichen.
Autor: Ulrich Grober

Das Janusgesicht der Nachhaltigkeit
Moralischer Universalismus und Umweltschutz

Nachhaltigkeit wird per Definition als „gut“ verstanden. Doch das Prinzip der Nachhaltigkeit ist von anderer Art Regel als diejenige, die es verbietet zu morden. Entsprechend stellt sich die Frage, mit welchem Recht westliche Gesellschaften sich anmaßen, solche „Werte“ anderen Gesellschaften aufzuzwingen. Denn sind wir, die privilegierten Bewohner westlicher Konsumoasen, bereit, Einschränkungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung unseres Planeten in Kauf zu nehmen, sprich unseren Konsum zugunsten der Nachhaltigkeit zu senken?
Autor: Peter Strasser

Das Ende der Utopien
Von der heiteren Gelassenheit im Angesicht der ökologischen Katastrophe

Aufgrund des gegenwärtigen Kohlendioxidausstoßes wird sich die Aufheizung der Erde um 2°C bis zum Jahr 2100 nicht eingrenzen lassen. Die Umweltbemühungen der Regierungen weltweit werden nicht viel fruchten, sie sind zu zaghaft und kommen viel zu spät. Wir werden reformierend untergehen! Trost können wir nur in uns selbst finden. Im Angesicht der drohenden Zerstörung ist Kunstgenuss das Gegen-Bild der Vernichtung.
Autor: Gregory Fuller

Nachhaltigkeit: Nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit
Wer eine nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen fordert, muss nicht nur Fragen zum Thema Gerechtigkeit beantworten. Im Raum steht auch die Frage nach der Freiheit. Geht doch jede Einschränkung der Nutzung natürlicher Ressourcen mit einer Verminderung individueller wie kollektiver Freiheit einher. Aber: Ohne intakte Natur gibt es auch keine Freiheit.
Autorin: Kira Meyer

Wovon wir leben
Über die Leiblichkeit des Menschen

Das Wesen des Menschen erschöpft sich nicht in seinem Verstand. Maßgeblich ist vielmehr der menschliche Körper und mithin dessen Verletzlichkeit. Leben heißt „leben von“ und „leben von“ heißt genießen. Entsprechend ist Nahrung kein „Treibstoff“ und essen etwas anderes als tanken! Gerade weil die Welt Nahrung für den Menschen ist, müssen wir Heideggers „In-der-Welt-Sein“ durch ein „Mit-der-Welt-Sein“ ersetzen.
Autorin: Corine Pelluchon

Das Rettende in der Gefahr
Über das Verstehen von Technik und Wissenschaft für das Ziel einer nachhaltigen Welt

Die meisten Menschen der westlichen Länder haben sich an verschwenderische Lebens- und Konsumstile gewöhnt. Aus Profitgier werden Regenwälder abgeholzt und die Ozeane vermüllt. Der infolge des westlichen Lebensstils zunehmenden Erderwärmung kann nur noch mittels technischer Entwicklungen Einhalt geboten werden. Doch Technik und Naturwissenschaft reichen hierfür nicht aus.
Autor: Ernst Peter Fischer

Die Wirklichkeit im Fluss – Nach mir die Sintflut?
Alfred North Whiteheads Prozessphilosophie und Klimaethik

Welche Rolle spielt das Handeln eines einzelnen Menschen angesichts der globalen Problematik des Klimawandels? Gleichen die Bemühungen der Einzelnen nicht eher dem Versuch, einen Flächenbrand auszupusten? Kann der Klimawandel nur durch groß angelegte politische Maßnahmen von Staaten aufgehalten werden oder können auch kleinste persönliche Entscheidungen spürbare Veränderungen bewirken?
Autorin: Rebecca Wolfs

Die Religion der Angst
Über die Ethik der Weltverantwortung

Das ökologische Problembewusstsein ist in eine kollektive Angstreligion umgeschlagen. Die Furcht vor dem Herrn wurde durch die Furcht vor dem Menschen und seinem Handeln ersetzt. In der durch die Wissenschaften entzauberten Welt hat das politische Handeln seine rationale Basis verlassen und schielt nur noch auf emotionale Erregungszustände. Eine Besinnung tut not!
Autor: Norbert Bolz

Verschwenderische Nachhaltigkeit
Über die notwendige Freiheit zur Unvernunft

Die Anleitung zu einem vernünftigen Leben ist ein Rezept für das Unglücklichsein! Man lebt nicht für das, was zweckmäßig ist, sondern für das, was darüber hinausgeht, für all das Überflüssige, für die Momente, die eben nicht aufgehen in irgendeinem betriebswirtschaftlichen Nutzen. Entsprechend bedarf Nachhaltigkeit eines vernünftigen Umgangs mit der Unvernunft der Menschen, das heißt: Wir brauchen weniger Moral und mehr Fantasie.
Autor: Fred Luks

Über die Gärtner der Welt
Nachhaltigkeit oder das Ende des Kampfes der Arten

Es herrscht ein Krieg der menschlichen Spezies gegen alle anderen: Ein grausamer, wütender Kampf, oft unbewusst und immer ohne Gnade. Anstelle eines sinnlosen Kriegs der Arten, der vorgeblich Fortschritt und Artenvielfalt hervorbringt, muss das Leben als eine Form der Zirkulation, als gemeinsame Nutzung aller Güter gedacht werden, denn die Vernunft drückt sich auch durch nichtmenschliche Formen aus.
Autor: Emanuele Coccia

Mensch und Natur im technischen Zeitalter
Konservative Kulturkritik und ökologisches Denken

Der menschliche Geist wird als umweltzerstörender Widersacher einer empfindsamen, naturverbundenen Seele verdammt oder als heilbringender Retter über die Unbill der Natur gepriesen. Entsprechend bewegt sich die Debatte um die Nachhaltigkeit zwischen fortschrittsgläubigem Machbarkeitsdenken und der Ideologie des Hütens und Bewahrens. Aber ist die nachhaltige Nutzung der Natur, wie sie allerorten gepriesen wird, nur eine Fortsetzung der menschlichen Überheblichkeit, die Welt perfekt managen zu können, wie Martin Heidegger schreibt?
Autor: Thomas Rohkrämer

Landschaft und Lebendigkeit
Die Suche nach dem Natürlichen der Natur

Es gibt nichts außerhalb der Natur! Alles Machen des Menschen ist nur verändern. Der Mensch und seine Kultur sind Teil der Natur und das „Natürliche“ Teil einer menschlichen Kultur. Das heißt: In unseren Auffassungen darüber, was „Natur“, was „natürlich“ ist, spiegelt sich die Kultur ihrer Zeit. Selbst im Begriff der Landschaft manifestiert sich Kultur.
Autor: Albert Kirchengast

Was schulden wir künftigen Generationen?
Nachhaltigkeit und die Idee des Generationenvertrags

Auch frühere Generationen mussten mit der Zerstörung natürlicher Ressourcen durch die vorherige Generation leben. Ein Beispiel dafür sind die Waldrodungen im Mittelalter. Doch wie viel natürliche Ressourcen darf eine Generation verbrauchen? Müssen die Interessen künftiger Generationen überhaupt berücksichtigt werden und kann ein Generationenvertrag hilfreich sein?
Autorin: Kirsten Meyer


umfrage
Was bedeutet Nachhaltigkeit?
Wie nachhaltig leben Sie?

Mit dem Mikrofon unterwegs war Rebecca Wolfs.


kolumne
Zwischen Apokalypse und Utopie
Auf der Suche nach dem rechten Maß

Johann Gottlieb Fichte sah in der Natur „einen Widerstand, der immer neu überwunden werden muss“, für Immanuel Kant war es ungereimt, sich einen „Newton des Grashalms“ zu erhoffen und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling war der Überzeugung, dass die Natur als lebendiges Ganzes im Blick sein muss. Doch bei allen inhaltlichen Unterschieden wird immer deutlicher, dass Naturphilosophie keine spekulative Hybris ist, sondern überlebensnotwendig. Denn die Stimme der Natur rät dem Menschen, zugleich mit ihr auch seine eigene zu hören.
Autor: Friedrich Dieckmann


essay
Ungesellige Geselligkeit
Über die Vorzüge einer schlechten Eigenschaft

Eifersucht, Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht sind Leidenschaften, die jeder kennt, aber keiner wirklich schätzt. Sie stehen der eigenen Seelenruhe wie dem friedfertigen Umgang mit anderen Menschen gleichermaßen im Wege. Und doch sind es gerade diese „an sich … eben nicht liebenswürdigen Eigenschaften der Ungeselligkeit“, denen Immanuel Kant eine zivilisatorische Kraft zuspricht. Er sieht in der Ungeselligkeit sogar die Triebfeder für die Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft, die ein Wohlleben in Freiheit ermöglicht.
Autor: Ralf Becker


lexikon
Fasten
Autorin:
Jutta Heinz

Naturalistischer Fehlschluss
Autor:
Thomas Zoglauer

Pandora
Autor:
Anton Escher

Rebound-Effekt
Autorin:
Elke Uhl


unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur

Haben Sie Probleme philosophischer Art?
Das Dr. B. Reiter Team sorgt für Aufklärung!

Das Dr. B. Reiter Team beantwortet Ihre Fragen auch auf seiner > Facebook-Seite.
Bezüglich des erwähnten LKW-Fahrers Ulf empfiehlt das Dr. B. Reiter Team das Video > Schnettkerbrücke von Thomas Koch.

Gurke, Panzer, Plastiktüte
Nach der Zeit der Einwegbecher kommt das Zeitalter der trüben Tassen – Nachhaltigkeit ist ein Spiel im Ernst der Lage: Alles wird gegeneinander ausgespielt. Heißt ein „Ja zu Wildbienen!“ „Nein zu Turbinen!“? Heißt „Leute einstellen!“ letztlich „Atmen einstellen!“? Kann man das Polarisierende versöhnen? Motto: „Wirtschaft oder Klima – beides ist doch prima“ – es gibt Mehrwegtüten, aber kein Mehrweggemüse. Weiterdenken. Am Menschen scheint allein seine Zerstörungskraft nachhaltig!
Autor: Stefan Reusch


porträt
„Genieße hier dein Leben aus!“
Johann Gottfried Herder im Porträt

Die Leidenschaften des Menschen sind keine Defizite. Die Natur habe im Menschen nichts Unvollkommenes geschaffen, so Johann Gottfried Herder. Eine Idee, welche vom Dasein unseres Körpers absieht, könne es in unserem Geist nicht geben: „Uns und die Welt zu genießen: das war Absicht der Natur.“ Das Gesetz des sinnlichen Begehrens zählt für Herder mithin zu den Naturgesetzen. Es zu moderieren gehört zu den Leistungen, die jeder Mensch im Rahmen seiner sozialen Beziehungen erbringen muss.
Autor: Wolfgang Proß