der blaue reiter, Ausgabe 31
ISBN: 978-3-933722-33-1
€ 15,90 (D, unverb. Preisempf.)



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der blaue reiter Ausgabe 31

 



No Future!

Philosophie des Augenblicks

Es ist weniger die absolute zeitliche Dauer, welche die Faszination des Augenblicks ausmacht, als vielmehr dessen qualitative Bestimmung. Der Augenblick ist Entscheidung, ein Moment ohne Dauer, in dem alles anders wird als zuvor oder aber auch alles so bleibt, wie es ist. Der günstige Augenblick, altgriechisch kairos, ergriffen, muss beim Schopfe gepackt werden, er ist es, der einem Leben Glanz verleiht oder dieses gar zerstört. Befreit von den Schatten der Vergangenheit sowie den Hoffnungen und Sorgen um die Zukunft kann das Verweilen im Augenblick, wie Sören Kierkegaard lehrt, in der Tat ein Stück Ewigkeit sein.

Aus dem Inhalt:

thema


Die (Un-)Moral des Augenblicks

Im Augenblick ist nicht nur das Zeitgefühl außer Kraft gesetzt, sondern auch die Moral, er ist das Geheimnis des Verführers. Der „Augenblick“ ist jener Ausbruch sinnlichen Begehrens und Verlangens, der kein Davor und kein Danach, keine Erinnerung und keinen Ausblick auf die Zukunft kennt. Sinnliche Liebe ist allein im Augenblick da.
Autor: Konrad Paul Liessmann

Die Erkenntniskraft der Plötzlichkeit.
Der coup d'oeil in Kunst und Kriegsführung
Der coup d’oeil ist das Vermögen, Unvorhersehbares augenblicklich, ohne kalkulatorische Überlegungen zu durchdringen, die angemessenen Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu handeln. Dem „Ich denke, also bin ich“ des Descartes setzt Bredekamp ein „ich sehe, also denke ich“ entgegen.
Autor: Horst Bredekamp

Drei Sekunden Gegenwart.
Viele Fragen – wenige Antworten

Wenn ich mit jemandem spreche, dann ist mein eigenes Reden zeitlich gegliedert, wir teilen eine gemeinsame zeitliche Bühne. Was es in mir denkt, das denkt es im andern, der andere wird zum Du. Im Gespräch wird ein verdoppeltes Bewusstsein gewonnen, aber eine gemeinsame Gegenwart gibt es nur, wenn jeder seine Identität behält.
Autor: Ernst Pöppel

Aufbruch zum Selbst.
Oder: Wie man augenblicklich aus der Zeit aussteigt
Der Augenblick ist eine Sandbank im Fluss der Zeit, er ist dem „Früher“ und „Später“ entrissen. Im Augenblick vollendet sich, was gewesen ist, und erfüllt sich, was erwartet wurde, es gibt kein „Nicht mehr“ und kein „Noch nicht“, er ist Erlösung von der Zeit, ist Ewigkeit light.
Autor: Andreas Luckner

Das Erleben des Augenblicks.
Warum sind wir so sicher, dass wir das, was wir gerade jetzt erleben, gerade jetzt erleben?

Zeit ist nicht nur etwas vom Bewusstsein Produziertes, Zeit „ist“ objektiv!
Autor: Gerhard Seel

Der Augenblick der Existenz.
Otto Friedrich Bollnows und Karl Jaspers’ Philosophie des Augenblicks

Wir dürfen die Gegenwart nicht für ein Jenseits preisgeben und nicht so leben, „als ob“ am Ende Leben und Erfüllung sei. Existieren heißt, im vollen Bewusstsein der eigenen Endlichkeit zu leben. Die Gewissheit des Todes ist produktive Lebenskraft.
Autorin: Gudrun Kühne-Bertram

Das „Zischen“ des „Realen“.
Die unvollendbare Gegenwart
Im Einbruch des Zufalls in die Welt zeigt sich ein nicht einschließbarer Rest, der sich jeglicher Interpretation und jeglicher Sinnzuschreibung entzieht. Dieser nirgends zu beherbergende Überschuss gibt den Blick frei auf das Reale, sprich auf das Ereignis jener Gegenwart, die übrig bleibt, wenn wir alle Interpretationen abziehen.
Autor: Dieter Mersch

Der erfüllte Augenblick.
Die Zeitlehre des Zen-Meisters Dôgen
Hingabe an das Seiende und der Fluß der Zeit sind keine Gegensätze. Konkret wird das Sein erst durch die Eindämmung der einen beständig wie aus dem Nichts überfallenden Gedankenflut in der buddhistischen Übungspraxis: in der Sitzmeditation und in der vollkommenen und ausschließlichen Konzentration auf die Tätigkeiten, die man im jeweiligen Augenblick ausübt.
Autor: Ryosuke Ohashi

Das Ende der Zukunft.
Über eine neue Form der Zeit als Prämisse von Erfahrung
Unsere Beziehung zu den Dingen ist mehr als nur eine der Sinnzuschreibung. Trotz unserer alltäglichen wie geisteswissenschaftlichen Konzentration auf Interpretation und Sinn sollten wir nicht vergessen, dass die Dinge der Welt, so wie wir auf sie stoßen, auch eine – in unserer Kultur fast immer übersehene – Präsenz haben.
Autor: Hans Ulrich Gumbrecht

Werd' ich zum Augenblicke sagen…
Das Glück, da zu sein
Der Augenblick als „Jetzt“ wird ausgezehrt von Vergangenheit und Zukunft zum ausdehnungslosen Punkt. Dem gegenüber steht das Bewusstsein da zu sein in mitgehender Präsenz leiblichen Spürens.
Autor: Gernot Böhme

Die Schöpfung der Welt im Nu des Augenblicks
Nach christlicher Vorstellung zieht sich Gott nach erfolgter Schöpfung der Welt zurück und greift nur noch ausnahmsweise, je nach Glaubensrichtung zum Beispiel durch sogenannte Wunder, in das Weltgeschehen ein. Sunniten hingegen, die zahlenmäßig verbreitetste Glaubensrichtung des Islams, vertreten die Auffassung, dass Gott permanent in der Welt präsent ist und dass diese in jedem Augenblick erschaffen wird.
Autor: Tilman Nagel

Anwesend sein.
Der Augenblick der Gegenwärtigkeit

Ein Selbst ist nicht ohne den Leib und den Leib des anderen zu haben: Präsenz als gesteigerte Form von bloßer Anwesenheit und Gegenwärtigkeit „ist eine Qualität, die ausschließlich an einem anderen Menschen gespürt werden kann, zugleich aber Rückwirkung auf das eigene Gefühl des In-der-Welt-Seins hat“.
Autorin: Erika Fischer-Lichte

Jeder Augenblick ist der richtige!
Der „göttliche“ Augenblick oder: vom revolutionären Akt
Der Augenblick ist ein Blick. Es ist ein Blick, der den Anderen, das Gegenüber einschließt. Augenblicke, in denen sich Subjekte als kollektiv erkennen, sind selten und ergeben sich nur in bestimmten Konstellationen, sprich: im richtigen Augenblick.
Autor: Christian Jäger


umfrage
Wie lange ist ein Augenblick?
Was war der schönste Augenblick in Ihrem Leben?

Mit dem Mikrofon unterwegs auf Aachens Straßen waren Maren Wynands und Benedict Neurohr.


kolumne
Die überraschende Wendung.
Blitzschläge der Geschichte

Das Leben der Einzelnen wie der Gruppen und der Völker wird von sich bietenden und sich versagenden, von ergriffenen und versäumten Gelegenheiten regiert; die ersteren bilden das Feld der realen, die letzteren das der hypothetischen Geschichtsschreibung.
Autor: Friedrich Dieckmann


essay

Orgasmus – Der kleine Tod
Keine Situation und kein Zustand bringen den Menschen im Laufe seines Lebens so nahe an den Tod heran wie der Orgasmus. Ja, selbiger kopiert den Tod, ganz im Unterschied zu irgendwelchen Leibesübertreibungen wie dem Fallschirmsprung oder dem Genuss wechselwirkender Pharmaka, was sämtlich darauf hinausläuft, seinen Schädel ins Maul eines Löwen zu halten.
Autor: Heinrich Steinfest


lexikon
Evidenz
Autor: Manfred Sommer

Kairos
Autor:
Dietrich Boschung

Punk
Autor:
Andreas Kuttner

Zeitpunkt
Autor: Rüdiger Vaas


unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur

Haben Sie Probleme philosophischer Art? Dr. B. Reiter sorgt für Aufklärung!
Autor: Dr. B. Reiter

Die Zukunft wird ein Spaß
Autor: Stefan Reusch

Der Philosophenkönig
Autor:
Wolfgang Korfmacher


portrait
Wider den Augenblick!
Henri Bergsons Suche nach dem letzten Grund des Bewusstseins

Henri Bergson wendet sich gegen das augenblicksfixierte Gegenwartsverständnis und den zeitlichen Provinzialismus der Moderne. Er setzt auf den Geist als eine Art Gedächtnis, dessen Erinnerungen nicht im Gehirn lokalisiert sind. In der subjektiv erfahrenen Lebenszeit, der durée, fällt der Mensch seine Entscheidungen nicht durch den Verstand, sondern durch die Unmittelbarkeit der Intuition.
Autor: Stefan Artmann