der blaue reiter Ausgabe 24 |
Inhalt
Echt sein
Die Sehnsucht nach Authentizität
Die Frage nach dem, wer man wirklich ist, was man wahrhaft fühlt und denkt, ist zumeist drängender als die Frage nach dem Warum des Daseins. Auf Warum-Fragen, auf letzte Fragen wie die, warum Menschen, warum man selbst existiert, kann es keine gewissen, keine letztgültigen Antworten geben. Nach dem Echten, dem Wahren und Authentischen kann man zumindest suchen. Wozu, wenn nicht auf der Suche nach dem eigenen Ich, auf der Suche nach Selbstvergewisserung und echtem Selbst steigen Menschen ohne Hilfsmittel auf die höchsten Berge, tauchen ohne Sauerstoffflaschen in über hundert Meter Tiefe oder springen mit dem Fallschirm aus der Eigernordwand? Mehr als um die Erweiterung der Leistungsgrenzen des Körpers und der Psyche kämpfen sie solcherart um ihr eigenes Selbst.
Aus dem Inhalt:
thema
Werde, der du bist! Echtheit, Authentizität, Eigentlichkeit
Die Echtheit von Berichten, Bildern, Dokumenten und Personen steht in den massenmedialen Aufbereitungen der Welt, von denen wir in größeren sozialen Einheiten zwangsläufig umgeben sind, zunehmend infrage … Authentizität erfordert Selbsterkenntnis … Echtsein gelingt nur augenblicklich oder gar nicht.
Autor: Andreas Luckner
Welche Natur ist „echte“ Natur?
Welche Bedeutung haben Kriterien wie Echtheit und Unechtheit, Natürlichkeit und Unnatürlichkeit? Warum interessieren wir uns für die „Echtheit“ der Natur?
Autor: Dieter Birnbacher
Wahrer Schein und falsches Sein
Der schöne Schein, die Möglichkeit zur Verstellung ist es, die Freiheit erst möglich macht.
Es ist nicht auszudenken, was geschähe, würde der allenthalben grassierenden Sehnsucht nach Echtheit und Authentizität nachgegeben. Wir wären schutzlos den Gefühlen und Ansichten unserer Artgenossen ausgeliefert. Täuschung und Verstellung sind probate Mittel einer sozialverträglichen Freiheit.
Autor: Klaus Prange
Das Echte und das Extreme. Selbstvergewisserung im Abenteuer- und Risikosport
Abenteuer- und Extremsportler sind Spezialisten für die Realisierung unwahrscheinlicher Handlungsabsichten. Sie wenden sich gegen die auf Wohlbefinden und Gesundheit ausgerichtete Biopolitik der Gesellschaft und setzen stattdessen ihr Leben in spektakulären Aktionen aufs Spiel.
Autor: Karl-Heinrich Bette
„Persona bedeutet auch Maske“
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit der Betonung der Verantwortlichkeit des Einzelnen eine radikale Kritik an totalitären Systemen und an technologischen Allmachtsfantasien verbunden. Allerdings drängte sich bald die Sorge auf, dass die Möglichkeit des einzelnen Menschen überschätzt, seine vielfältigen Abhängigkeiten verkannt wurden. Zudem wuchs nach einer Zeit des protestierenden Individualismus wieder die Achtsamkeit gegenüber den gesellschaftlichen Verstrickungen des Einzelnen.
Autorin: Käte Meyer-Drawe
Lob der Entfremdung
Ich will doch nur mein Herz öffnen und mich zeigen, wie ich bin – was ist denn so schlimm daran? Gegen Jean-Jacques Rousseaus „Ethos der absoluten Rückhaltlosigkeit“ empfiehlt Helmuth Plessner die „Kunst des Nichtzunahetretens“, die darauf aus ist, den anderen zu schonen, ihn mit der eigenen Befindlichkeit nicht zu behelligen.
Autor: Michael Großheim
„Um etwas wie ein Mensch zu bleiben…“ Masse, Macht und Authentizität
Authentizität, also zweckloses Echt- und Selbstsein, setzt Ichbewusstsein und personale Identität voraus, reicht aber darüber hinaus. Sie basiert auf einer Form der Freiheit des Denkens und Handelns, die der eigenen inneren Notwendigkeit entspricht. Beschränkt und gefährdet wird Authentizität besonders durch soziale Rollen, Konformismus und Masse (bis hin zur Auflösung des Ichs), aber auch Habgier, Narzissmus und Macht (bis hin zur Verabsolutierung des Ichs).
Autor: Rüdiger Vaas
Wie echt sind Gefühle?
Im Alltag sprechen wir von echten und unechten Gefühlen. Handelt es sich dabei lediglich um eine Redeweise, die jeder Grundlage entbehrt, oder lassen sich Kriterien für die Echtheit von Gefühlen angeben?
Autorin: Felicitas Krämer
Echte Kunst
Die Einführung und Verbreitung technischer Medien wie Fotografie, Grammofon, Film bis hin zum Internet hat zu Formen der Wiedergabe und Vervielfältigung geführt, die den Begriff des Originals in der Kunst jenseits von Kopie und Fälschung neu definieren, als mögliche, andere Echtheit der Kunst im sinnlichen Erleben und im zwischenmenschlichen Diskurs.
Kunst entsteht und existiert nur in der körperlichen Anwesenheit derer, die sich mit Kunst auseinandersetzen.
Autor: Rolf Sachsse
Die Psychoanalyse und die Fantasie vom authentischen Subjekt
oder: Wahrheit als Verhältnis
Das Unbewusste ist kein Sammelsurium ursprünglicher Wahrheiten … Das authentische oder wahre Subjekt ist das Ergebnis eines Spaltungs- und Verdrängungsvorgangs.
Autoren: Peter Schneider/Daniel Strassberg
Mode – Sprache des Selbst?
Mode ermöglicht es den Menschen, nach außen zu tragen, was sonst verborgen bliebe, sie bedienen sich ihrer als einer Sprache, die den Charakter, die Einstellung, gar die Einzigartigkeit einer Person auszudrücken vermag. Dem Himmel sei also gedankt für die Mode – wie wollten wir ohne sie unser Selbst verkünden?
Autorin: Eike Beall
Sei du selbst! – Nein danke!
Die Sehnsucht, echt beziehungsweise authentisch zu sein, teilen viele, doch das Ringen darum ist ein riskantes Unterfangen. In der Reflexion des Scheiterns eröffnet sich die Möglichkeit, die Schimäre eines echten Selbst als Lebensziel hinter sich zu lassen – es lebt sich freier ohne echtes Selbst!
Autoren: Henrik Pontzen/Thomas Schindler
umfrage
Was ist echt?
Mit dem Mikrofon unterwegs war Udo Grün.
kolumne
Spielarten des Echten
„... Der Kult des Originalen herrscht auf dem Feld des Marktes als Labelschutz der Luxusmarken. Auf andere Weise durchtränkt er die philologische Sphäre ...“
Autor: Friedrich Dieckmann
essay
Über Schmerzen in der Seele und ähnlichen Körperteilen
Arthur Schopenhauer entwickelt in seinem Werk Die Welt als Wille und Vorstellung sehr eloquent folgenden Gedanken: dass die Erfahrungen, die normalerweise negativ beschrieben werden, wie zum Beispiel der Schmerz, wirklich erscheinen, während diejenigen Erfahrungen, die normalerweise positiv empfunden werden, wie zum Beispiel Glück, nichts anderes als die Abwesenheit von Schmerz bedeuten, sie gehören in die Region der Nichtigkeit.
Autor: Lars Gustafsson
lexikon
Doping
Autor: Volker Caysa
Kuckuck
Autorin: Petra Gehring
Phantomschmerz
Autor: Rüdiger Vaas
Travestie
Autor: Egbert Witte
unterhaltung
Bücherrätsel
Autor: Stefan Baur
Haben Sie Probleme philosophischer Art? Dr. B. Reiter sorgt für Aufklärung!
Autor: Dr. B. Reiter
Entspannt und echt deutsch!
Autor: Stefan Reusch
portrait
„Wie man wird, was man ist.“ Der Denkweg Friedrich Nietzsches
Nietzsche radikalisiert die persönliche Dimension. Sein Werk ist Medium der Selbstbezeugung – eine lange Antwort auf die Frage, „wie man wird, was man ist“. Dabei spricht es uns, so paradox dies klingt, gerade deshalb an, weil es so persönlich gehalten ist – weil es den Leser herausfordert und auf den Weg der eigenen Selbstfindung bringt.
Autor: Michael Steinmann
reihe
Geschichte der Naturwissenschaften und Technik:
Felder der Erinnerung. Die Theorie der morphischen Felder
Wie entfalten sich Pflanzen aus ihren Sporen oder Samen zur charakteristischen Gestalt ihrer Art? Wie erhalten die Blätter von Farnen, Eichen und Bambusgräsern ihre Formen? Diese Fragen berühren eines der größten ungelösten Rätsel der Biologie, die Morphogenese oder Formentstehung (vom Griechischen morphe = Form; Genesis = Entstehung). „Eine Intelligenz, welche die verlorene Zange eines Krebses zu ersetzen vermag, kann auch ein ganzes Tier erzeugen.“ (Nicolas Hartsoecker, 1722)
Autor: Rupert Sheldrake