Jubiläum


25 Jahre „der blaue reiter“  

Jutta Heinz


Wie die meisten wichtigen und unwichtigen Dinge auf dieser nicht ganz besten aller möglichen Welten zerfällt auch die Philosophie seit ihrem Ursprung in zwei Hälften: Hier die ordentlichen Schul- und Systemphilosophen, die Meisterdenker, die auf den Höhen des Geistes dahingaloppieren und wie alle Spezialisten ihre Reihen dichthalten (heute würde man sagen: ein Verein alter weißer Männer) – und dort die minderen Populär- oder Lebensphilosophen, die in den Untiefen des Alltagslebens vor sich hin traben und versuchen, mit gelegentlich etwas fragwürdigen Mitteln den Gedanken bei der Arbeit zuzusehen (ein Verein alter weißer Männer, aber manchmal verirrt sich unter sie immerhin schon eine Frau). Letztere sehen gern in Sokrates ihren Ahnherren, während Erstere ganz sicher Aristoteles für sich reklamieren würden. Und so reiten sie in zwei Kolonnen durch die Welt, im 18. Jahrhundert beginnt die Populärfraktion deutlich an Anhang zu gewinnen, aber dann kommt der Preuße Hegel und prescht alles nieder – Schopenhauer allerdings ist ein durchaus würdiger Gegner –, und noch die aktuelle lebensphilosophische Ratgeberliteratur ist Popularphilosophie, wenn auch eher als Ponyhof, während die akademische Philosophie gern weiter als Herrenreiter Dressur reitet.
Dazwischen steht der blaue reiter, auf einer mehr oder weniger hoffnungslosen Mission – so wie sein kämpferischer Namensvetter, der zu viele Ritterromane gelesen hatte, die Herzensdame in einer Stallmagd sehen konnte und gegen Windmühlen antrat, weil die echten Riesen sich wieder mal versteckt hatten. Don Quijote ist nun eine Figur, mit der man sich identifizieren kann oder auch nicht – zumal wenn man eine Frau ist, wenig kriegerisch gesinnt, eher uninteressiert an Riesen und Windmühlen und auch nicht auf der Suche nach dem idealen Denker-Mann, aber immerhin: viel zu belesen, vorzugsweise in Romanen (ja, genau: ein Verein alter weißer Männer). Vielleicht hält sie es aber lieber mit Sancho Pansa: keinem Meisterdenker oder heldenhaftem Recken, sondern dem unentbehrlichen Kameraden, der auf einem kleinen grauen Esel dahinreitet und gelegentlich die Stimme der Vernunft ertönen lässt, des so gern geschmähten „gesunden Menschenverstandes“, ein Lebens- und Alltagsphilosoph, wie er im Buch steht (aber nicht nur dort). Ihre Hoffnung ist, und es mag eine illusorische, romanhafte sein: Dass beides möglich wäre. Dass die Philosophie und das Leben nicht auf zwei verschiedenen Schlachtfeldern stattfinden, oder, schlimmer noch: Ewig sich ineinander verhaken, und nie wird es einen Sieger oder einen Verlierer geben (außer den selbsterklärten natürlich). Dass die Literatur und die Philosophie nicht immer nur ein Esel und ein Pferd sein werden, das sich allerhöchstens zum Maultier paart: nicht fortpflanzungsfähig. Dass die Philosophie nicht nur eine Männersache bleibt, sondern eine Frauensache wird, bevor sie sich, vielleicht, zu einer Menschensache mausert. Und dass es Leser und Leserinnen gibt, die sich für beides interessieren, für kleine und große Gedanken, für Esel und Pferde, für Sokrates und für Aristoteles. Dass beides möglich ist.