Gert Fabritius: Wo bist du Sisyphos?, 2000



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der blaue reiter Ausgabe 29

 



Die ewige Wiederkunft des Gleichen


Ist Nietzsches Gedanke der ewigen Wiederkunft des Gleichen nur die Wiederholung eines Gedankens, der sich schon bei den Vorsokratikern findet, eine banale Absurdität oder der Vorstoß in ein völlig neues Denken?

Der Gedanke der ewigen Wiederkunft des Gleichen ist vielleicht derjenige Gedanke in der Geschichte der Philosophie, der sich am genauesten datieren und lokalisieren lässt: Dem damals 36 Jahre alten Friedrich Wilhelm Nietzsche soll dieser Gedanke – nach eigener Angabe – am 6. August 1881 gekommen sein; ein paar Kilometer entfernt von Surlej am Silvaplaner See im Oberengadin, „bei einem mächtigen, pyramidal aufgethürmten Block“ wie es in der Rückschau auf sein Inspirationserlebnis in Ecce Homo heißt. Den Felsen gibt es natürlich heute noch wie vor 130 Jahren, er liegt dort am Rande des malerischen Sees, nur mit dem Unterschied, dass eine kleine Gedenktafel in ihn eingelassen ist.
Wenn man die Datierung des Einfalls ernst nimmt – und warum sollte man daran zweifeln? –, dann haben wir im Aphorismus 341 der Fröhlichen Wissenschaft, die 1882 erschien, die taufrische Veröffentlichung des besagten Gedankens vor uns. Es heißt dort, unter dem Titel „Das grösste Schwergewicht“: „Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: ,Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Große deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!‘ – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: ,du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!‘ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei Allem und jedem ,willst du diess noch einmal und noch unzählige Male?‘ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?“

 

Selbsterlösung qua
Selbstvernichtung des Willens?

 

Der Gedanke der ewigen Wiederkunft wurde von Nietzsche selbst immer wieder als sein wichtigster, tiefster und schwerster Gedanke charakterisiert, ein Gedanke, den die Menschen seiner (und wir können getrost hinzufügen: auch unserer) Zeit noch gar nicht bereit zu denken waren; was immerhin erklären würde, dass es bis heute durchaus kontrovers ist, wie dieser Gedanke eigentlich zu verstehen ist.

Ein Gedanke – keine Hypothese!

Es ist wichtig zu sehen, dass zumindest an dieser Stelle der Gedanke der ewigen Wiederkunft des Gleichen als ein Gedanke eingeführt wird und nicht etwa als eine wissenschaftliche Hypothese. Wir können im Nachlass Nietzsches durchaus auch viele Überlegungen zu einer kosmologisch-naturphilosophischen Fassung des fraglichen Gedankens finden, der sich wie folgt zusammenfassen lässt:
Weil es nur eine endliche Anzahl von Kräften und Kraftverhältnissen in der Welt gibt, die Zeit aber endlos fortschreitet, müssen sich die Kraftkonstellationen irgendwann einmal wiederholen, ja unendlich oft wiederholen. Die nachweisliche Auseinandersetzung mit Julius Robert Mayers Energieerhaltungsdenken mag eine solche kosmologische Auslegung des Gedankens der ewigen Wiederkunft befeuert haben; aber es muss doch auffallen, dass Nietzsche in keinem seiner von ihm selbst veröffentlichten Werke Gebrauch von dieser fragwürdigen und überdies leicht kritisierbaren kosmologischen Fassung macht – ihm schien dies sicherlich selbst als unausgegoren. Was immer auch aus diesen Ansätzen bei Nietzsche noch geworden wäre: Wenn wir nur die von ihm autorisierten veröffentlichten Stellen zu Rate ziehen, die den Gedanken der ewigen Wiederkunft thematisieren, müssen wir sagen, dass es sich dabei nicht um ein wissenschaftliches Theoriestück handelt, sondern um eine, wie Günter Abel es formuliert hat, geschehenslogische Bestimmung. Eher als eine alternative Darstellung des Weltgeschehens betrifft der Gedanke daher eine alternative intellektuelle und praktische Einstellung zum Weltgeschehen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten es auch immer ablaufen mag.
Weil er den Gedanken der ewigen Wiederkunft nicht als ein Stück Naturphilosophie vortrug, sind für ein Verständnis von Nietzsches tiefstem Gedanken auch diejenigen Kommentare recht unfruchtbar bis irreführend, die auf die Ähnlichkeit des Gedankens zu den antiken Wiederkunftslehren der Pythagoreer, der Herakliteer oder der Stoiker mit ihren zyklischen Zeitvorstellungen hinweisen (siehe Erläuterung). Nietzsche, als ehemaliger Professor für Altphilologie, hat diese Welt- und Zeitkonzeptionen freilich gekannt. Wer den Gedanken der ewigen Wiederkunft aber vor diesen philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund stellt, kann überhaupt nicht sehen, was an diesem Gedanken denn so Schwieriges, ja für den Normal- (sprich: Nicht-Über-)Menschen Undenkbares sein soll, wie es Nietzsche behauptet. Die Schwierigkeit dieses Gedankens liegt auf einem anderen Gebiet, wie auch schon in der zitierten Textstelle angedeutet wird: Er könnte uns vielleicht zermalmen. Es ist sein existenziell-psychologischer, im weitesten Sinne ethischer Gehalt, der so schwer wiegt. Dieser Gedanke kann und muss unser Leben verändern, wenn wir ihn ernst nehmen. Wie könnte er das, wenn es sich bei ihm lediglich um eine kosmologische These handelt?

Die Stellung im Werk

Der zitierte Aphorismus ist in der Erstausgabe der Fröhlichen Wissenschaft von 1882 der vorletzte des gesamten Buchs; der letzte Aphorismus ist identisch mit der Anfangspassage des kurz danach erschienenen, sehr viel berühmter gewordenen Buchs Also sprach Zarathustra; und Zarathustra ist der Lehrer nicht nur des Übermenschen und des Willens zur Macht, sondern auch und vor allem der Lehrer der ewigen Wiederkunft. All dies gehört eng zusammen und bildet so etwas wie ein begriffliches System beim Antisystematiker Nietzsche. …

Autor: Andreas Luckner