Heribert Heere:
Selbst (mit Julia und Phönix), 2000
Computergrafik

der blaue reiter Ausgabe 12

 



Heribert Heere lebt als Maler und Collagist in München.

1
Heeres Arbeiten haben eine einzige Obsession. Aus der ganzen Länge ihrer Bildbahnen, diesem tropischen Unterholz ineinander geschobener Leiber, dem vegetabilen Räderwerk aus Schenkeln, Busen, Lippen, dem Fang- und Fallenblick all dieser Frauenaugen blickt uns eine einzige Geliebte entgegen: die Welt.

2
Die Welt ist zugleich Fall, Einfall und Erscheinung. Sie muss fallen, muss in das Bild einfallen, um überhaupt in Erscheinung treten zu können. In ihrer souveränen Schönheit hält die Welt Einzug ins Werk. Als Einfall durchbricht und zerlegt die Welt das Bild. Glut und Atmosphäre des Bildes greifen die fallende Welt auf, greifen sie an, zerlegen und setzen sie erneut in ihrem leuchtenden Überfluss zusammen. So verwandelt sich die automatisierte Wahrnehmung in ein Wahrnehmungsereignis, und die Welt erglänzt in einer Art Neugeburt – tritt damit allererst in Erscheinung. Das Bild leistet eine überbordende Analyse der Welt. Welt und Bild sind sich gegenseitig Analyse und Offenbarung.

3
In Heeres Arbeiten wird die überfließende Welt in ihre Elemente auseinander gelegt, analysiert und sogleich wieder zusammengesetzt, synthetisiert. Aber es handelt sich dabei um eine überfließende Synthese, um ein überfließendes Bild der überfließenden Welt. Deshalb beschäftigen sich diese Arbeiten mit dem luxurierenden Glanz von Gold, Glamour, Eros. Im Element des Zuviels tritt die Welt in Erscheinung. Im Element ihres eigenen Überfließens offenbart sich die in ihrem Wesen exzessive Welt. Die Tendenz zur Abstraktion bei Heere besteht nicht in einem mechanischen Entfernen der Gegenständlichkeit von einem Phänomen, sondern im Überborden dieser Gegenständlichkeit. Wenn sich das Abstrakte in diesen Arbeiten meldet, dann nicht im Modus der bloßen Abwesenheit oder der Negation von Gegen-ständlichkeit, sondern in Form der Bejahung, des Zuviels, der Wiederkehr und Verdoppelung von Gegenständlichkeit. Doch vermögen diese Bilder, genau genommen, nicht wirklich den Exzess zu offenbaren. Sie erscheinen eher als eine Anzeige des Exzesses, der mit seinen grotesken Übertreibungen und seinem Karnevalslachen keine sichtbare Gestalt, sondern eher eine beunruhigende Kraft darbietet. Eine Darstellung des Exzesses beinhaltet die Überschreitung eines normierenden Maßes. Somit bringt sie mit sich das Problem der Vergrößerung, Verkleinerung, Verzerrung, Reduzierung, kurz: des Hässlichen und der negativistischen Abstraktion. Die Arbeiten Heeres betreiben aber keine Verhässlichung des Schönen. Eher lassen sie sich von der Schönheit der Welt umgarnen, der sie verfallen sind und die sie wiederholen und wiederholend beantworten.
Das überbordende Bild: Das ist die sichtbare Maske einer wesentlich unsichtbaren Welt.

Text: Pravu Mazumdar

Homepage: www.heere.de