Sybille Onnen, Zeichnung

der blaue reiter Ausgabe 15 > zurück zur Themenliste

 



Sybille Onnen lebt und arbeitet in Karlsruhe und Soultz s. F. im Elsass.
Sie ist ständig mit ihren Arbeiten in der Karlsruher Keramikmanufaktur Majolika vertreten.

Wenn Sybille Onnen zeichnet, dann mit allem, was eine Spur auf dem Papier erzeugt: mit Stiften, Kreiden, Ölfarben, Lappen, Fingern, Pinseln, Stielen und so weiter.
Der erste Teil der Arbeit geht ganz schnell: zwei Blicke, ein paar Striche, einmal gewischt und zack. Lange Jahre der Übung des Blicks und des „richtigen“ Schwungs sind die Grundlage für diese so leicht aussehende Schnelligkeit, die eines auf jeden Fall ist: kraftvoll und sicher. Sie trifft fast immer den Punkt der höchsten Spannung – eine Sekunde später fiele alles in sich zusammen.
Es gibt für die Zeichnungen noch eine zweite, langsamere Phase. Dem Blatt zu-, dem Modell abgewendet, werden grundsätzliche Bildentscheidungen getroffen; konzentriert und akzentuiert, meist durch Flächen. Beides bleibt hinterher sichtbar; die schnelle kraftvolle Phase der Linien, die sowohl die motorische Bewegung von Sybille Onnen beim Arbeiten ahnen lassen als auch die dargestellte Bewegung der Figuren zeigen. Die zweite Phase der Flächen und Flecken setzt die Ruhe und das Gewicht dagegen, macht ein Bild aus der Skizze, wohlwollende Frechheiten wie Farbstriche auf delikaten Stellen inbegriffen.
Für die gezeichneten Figuren gilt ebenso wie für die aus Ton geformten Personen, dass der recht flüchtigen, manchmal fast groben Skizzenhaftigkeit eine erstaunliche Präzision der körperlichen Details innewohnt. Diese ist zwar anfänglich am jeweiligen Modell orientiert, wird dann aber in die eigene Sprache übersetzt, hier und da ein wenig verändert: verkürzt, verlängert, verdickt oder vergrößert. Kleine menschliche Abweichungen von gängigen Schemata wie dicke Bäuche, füllige Oberschenkel und alternde Haut werden mit lustvoller Gnadenlosigkeit und einer gewissen nachsichtigen Liebe gezeigt. Die Erotik zeigt sich nicht in einer Idealisierung, sondern im Sein, wie es nun mal ist – mit allen sichtbaren Spuren.

Text: Tina Stolt